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Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) im Handwerk

Foto: Kursleiter und Azubi

Nutznießer sind die Jugendlichen und die Betriebe - mehr und bessere Ausbildungsplätze im Handwerk sichern

Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung im Handwerk - ESF-geförderte Programm stellt sicher, dass alle Fertigkeiten der Ausbildungsberufe erlernt werden

Das Handwerk ist ein wichtiger Akteur auf dem Ausbildungsmarkt: Mehr als 25 Prozent aller Auszubildenden arbeiten und lernen in diesem Wirtschaftssektor. Die Ausbildung selbst hat international einen exzellenten Ruf. An beiden Faktoren, an der Quantität der Ausbildungsplätze wie an der Qualität der Ausbildung, hat die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) einen erheblichen Anteil. Ein Bericht informiert zum Einsatz des ESF-geförderten Programms im Handwerk.

Allein in Nordrhein-Westfalen absolvieren rund 81.000 Jugendliche eine Ausbildung im Handwerk. Ohne die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung wäre die Zahl geringer. Denn aufgrund von auftragsabhängigen Tätigkeitsschwerpunkten und Spezialisierungen können nicht alle ausbildungsbereiten Betriebe das breite Spektrum der Ausbildungsordnungen allein erfüllen und müssten ggf. auf die Einrichtung eines Ausbildungsplatzes verzichten. Mit Unterstützung der ÜLU jedoch ist sichergestellt, dass Auszubildende alle relevanten Fertigkeiten ihres Ausbildungsberufs in der erforderlichen Tiefe erlernen.

Davon profitieren die Betriebe, aber auch die Jugendlichen, denn über die ÜLU erwerben sie eine berufliche Handlungskompetenz, die ihre Beschäftigungsfähigkeit auf einem immer komplexeren Arbeitsmarkt erhöht. Grund genug für das NRW-Arbeitsministerium, ÜLU mit Mitteln des Landes und des Europäischen Sozialfonds schon seit vielen Jahren - und auch in Zukunft - zu fördern. Verantwortlich für die Abwicklung der Fördermittel ist die Landes-Gewerbeförderungsstelle des nordrhein-westfälischen Handwerks e.V. (LGH).

Verlängerte Werkbank der Betriebe

Durchgeführt wird die ÜLU in den rund 100 von Innungen, Kreishandwerkerschaften, Fachverbänden und Handwerkskammern betriebenen Bildungszentren in NRW. In deren Lehrwerkstätten finden jährlich 16.500 ÜLU-Lehrgänge für die mehr als 100 Ausbildungsberufe des Handwerks statt: von der Augenoptikerin über den Metallbauer bis zur Zweiradmechanikerin. Dabei nimmt jeder Lehrling durchschnittlich zwei bis drei Wochen pro Ausbildungsjahr an Kursen der Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung teil. In manchen Gewerken, etwa bei den Bäckerinnen und Bäckern, ist es etwas weniger, im Kfz-Bereich und bei den Bauhandwerkern entsprechend mehr.

Von den rund 470 anerkannten Unterweisungsplänen entfallen nach Angaben von Thomas Waxweiler, Abteilungsleiter in der LGH, circa 80 auf die Grundstufe im ersten Lehrjahr und etwa 390 auf die Fachstufe im zweiten und dritten Lehrjahr. Gegenstand eines Grundbildungs-Lehrgangs für Zahntechnikerinnen und Zahntechniker zum Beispiel ist „das Herstellen von extra- und intraoralen Registrierhilfen und deren Umsetzung in den Kieferbewegungssimulator“. Wie im realen Berufsleben bearbeiten die Lehrlinge dazu komplexe praktische Aufgabenstellungen im Rahmen simulierter Kundenaufträge. Thomas Waxweiler: „Das beinhaltet auch das selbstständige Analysieren und Planen, das praktische Durchführen und die eigene abschließende Ergebniskontrolle inklusive etwaiger Nachjustierungen. Das heißt: Anders als bei bloßen Anlerntätigkeiten gilt auch bei ÜLU das Berufsprinzip. Danach erwerben die Jugendlichen Fertigkeiten in einem komplexen, zusammenhängenden Berufsfeld, übernehmen Verantwortung für ein komplettes Produkt in nicht normierten Verhältnissen. Das erhöht ihre berufspraktische Handlungskompetenz.“

Gleiches gilt für das Metallbauerhandwerk. Hier stehen in einem Lehrgang der überbetrieblichen Unterweisung das Fügen von Blechen und Profilen aus Stahl auf dem Programm oder das Umformen von Rohren und Profilen aus Eisen und Nichteisenmetallen. Integrale Bestandteile des Lehrgangs sind aber auch hier etwa der Gesundheits- und Umweltschutz bei der Arbeit, die betriebliche, technische und kundenorientierte Kommunikation, das Planen und Steuern von Arbeitsabläufen sowie das Qualitätsmanagement. Aufgrund ihrer engen Beziehung zu den Unternehmen der Region sind die Innungswerkstätten mit ihrer überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung laut Thomas Waxweiler „die verlängerte Werkbank der Betriebe.“

Kompetenzzentren handwerklicher Berufsbildung und Technologie

Aber sie sind noch mehr, ergänzt der Berufsbildungsexperte, sie sind auch „Kompetenzzentren handwerklicher Berufsbildung und Technologie“ - und immer auf dem neuesten Stand! Thomas Waxweiler: „Alle Lehrgänge werden in einem stetigen Überarbeitungsprozess an die technischen Entwicklungen in den jeweiligen Berufen angepasst.“ Dazu beobachtet das eigens damit betraute Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik an der Universität Hannover technologische Zukunftstrends.

Alle hier gewonnenen wissenschaftlichen Ergebnisse werden in anschließenden Gesprächen mit den verschiedenen handwerklichen Fachverbänden erörtert. Erst dann werden die ÜLU-Rahmenlehrpläne der technischen Entwicklung angepasst. Die Hochvolttechnik für Hybrid- und Elektroautos im Berufsbild „Kfz-Mechatroniker“ gehört etwa dazu sowie die CAD-/CAM-Technik oder „das Erstellen totaler Unterkiefer- und Oberkieferprothesen nach System“ im Zahntechnikerhandwerk. Das Gute daran: Ihre neu erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten nehmen die Jugendlichen mit in ihre Ausbildungsbetriebe. Thomas Waxweiler: „Damit dient die ÜLU zugleich der Anpassung der handwerklichen Ausbildungsbetriebe an die technische Fortentwicklung und sorgt für einen Technologietransfer.“

Gelingen kann das nur, weil in den Innungswerkstätten Ausbildungsmeisterinnen und -meister tätig sind, die über besondere didaktische, ausbildungspraktische und fachliche Kompetenzen verfügen. „Kontinuierliche Schulungen“, versichert der LGH-Abteilungsleiter, „halten ihre Expertise als Fachleute praktischer Berufsbildung auf dem neuesten Stand“. Deshalb, und weil sie eng mit den Berufsschulen sowie den Ausbilderinnen und Ausbildern in den Betrieben kooperieren, schaffen sie es, die Ausgestaltung der ÜLU-Lehrgänge bedarfsgerecht und mit hoher Betriebs- und Praxisnähe umzusetzen. Genauso hochwertig wie das Personal ist die Ausstattung der ÜLU-Lehrwerkstätten. Da sie sich wirtschaftlich rechnen müssen und die Rahmenbedingungen nicht überall gleich sind, ist die ÜLU mitunter auch überregional organisiert. Gerüstbauerinnen und -bauer zum Beispiel kommen aus ganz Nordrhein-Westfalen nach Dortmund. Thomas Waxweiler: „Große, brachliegende Industriegebäude aus alten Kohle- und Stahlzeiten sind für diesen Ausbildungsberuf ideale Übungsobjekte.“

Im Mittelpunkt der Förderung: die jungen Auszubildenden

Auch wenn die Gestaltung und Fortentwicklung der ÜLU-Rahmenlehrpläne den Fachverbänden obliegt. Bevor sie zum Einsatz kommen, müssen sie genehmigt werden. Welche Stelle genau die Genehmigung erteilt, das unterscheidet sich je nach Fördergeber. So fördert der Bund über das Bundeswirtschaftsministerium ausschließlich die Fachstufenlehrgänge. Das Land hingegen fördert über das Arbeitsministerium beides: sowohl die Grund-, als auch die Fachstufenlehrgänge.

Die Förderung von Bund und Land sind unterschiedlich motiviert. Thomas Waxweiler erläutert den Hintergrund: „Das Bundeswirtschaftsministerium hat vor allem die Betriebe und deren technische Fortentwicklung im Fokus, während das Arbeitsministerium des Landes mit seiner erweiterten Förderung insbesondere auch die Jugendlichen in den Blick nimmt. Zunächst hilft es ihnen mit der ÜLU, überhaupt einen Ausbildungsplatz vorzufinden, und dann sorgt es dafür, dass alle Jugendlichen, und zwar unabhängig von Tätigkeitsschwerpunkten ihrer Ausbildungsbetriebe, auf hohem Niveau ausgebildet werden und so die gleiche Chance haben, die Gesellenprüfung zu bestehen.“ Fazit des Fachmanns: „Dem nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium sind Betriebe und Jugendliche gleichermaßen wichtig.“