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Zwei Frauen und Mann nebeneinander im Foyer des Universitätsklinikums

„Absolut überzeugend“ – Unterstützte betriebliche Ausbildung

EU-geförderte Aktion "100 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen" – Praxisbeispiel beim Berufsförderungswerk Hamm

Mit Handicap die Ausbildung schaffen - das ist Denise Siebert gelungen, mit Unterstützung des Berufsförderungswerks Hamm im Rahmen der mit Mitteln der Europäischen Union geförderten „Aktion 100“. Die junge Frau hat die Abschlussprüfung zur Kauffrau für Büromanagement sogar mit der Note „sehr gut“ bestanden und heute eine unbefristete Stelle in ihrem Wunschberuf.

Eigentlich waren die beruflichen Aussichten bestens und tatsächlich lief anfangs alles nach Plan. Nach dem Erwerb ihrer Fachhochschulreife begann Denise Siebert eine Ausbildung als Kauffrau für Dialogmarketing. Anfangs ging alles gut. Doch plötzlich machten sich erste Anzeichen einer Depression bemerkbar. „So intensiv schließlich“, sagt sie heute im Rückblick, „dass ich keine andere Möglichkeit sah, als meine Ausbildung abzubrechen.“

Nachvollziehbar wird die Entscheidung, wenn man weiß, dass Depressionen im medizinischen Sinne keineswegs zu verwechseln sind mit vorübergehenden Phasen der Niedergeschlagenheit oder bloßen Stimmungstiefs. Depressionen sind laut Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention „eine ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen tiefgehend beeinflusst, mit Störungen von Hirn- und anderen Körperfunktionen einhergeht und erhebliches Leiden verursacht.“

So auch bei Denise Siebert. Doch trotz ihrer Erkrankung gab sie ihren Wunsch auf einen Berufsabschluss nie auf. Zum Glück hatte sie von den Möglichkeiten einer begleiteten Ausbildung gehört und das Gespräch mit der Agentur für Arbeit gesucht. Dort empfahl man ihr die Teilnahme an der „Aktion 100“. Denise Siebert nahm das Angebot sofort an.

Das war der entscheidende Wendepunkt. Die Aktion „100 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung“ wird flächendeckend in ganz Nordrhein-Westfalen angeboten. Lernorte sind dabei die kooperierenden Betriebe, die Berufskollegs sowie die an der Aktion beteiligten Berufsbildungswerke und Berufsförderungswerke.

Zuständig für Denise Siebert war das Berufsförderungswerk Hamm GmbH (BFW), das sich schon seit vielen Jahren an der „Aktion 100“ beteiligt. Das BFW schloss mit der jungen Frau einen Ausbildungsvertrag ab, stellte ihr einen Ausbildungscoach an die Seite, koordinierte die Ausbildung an den verschiedenen Lernorten und bot individuellen Stütz- und Förderunterricht an.

Rückhalt gibt Sicherheit

„Zu Beginn“, erinnert sich Claudia Amenda-Himker, Sozialpädagogin beim BFW Hamm, „haben wir mit Denise Siebert mehrere, teils mehrstündige Gespräche geführt. Anfangs machte sie einen sehr zurückhaltenden, unsicheren Eindruck, zweifelte an ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten. Aber schon damals war zu erkennen, dass sie alles sehr stark reflektiert, sobald sie sich im Gespräch aus diesen emotionalen Verstrickungen lösen konnte. Unserem gesamten Team war klar: Da ist jemand, der unbedingt eine Ausbildung absolvieren will und über enormes Potential verfügt.“

Im anschließenden sechswöchigen Assessment ging es darum, mittels Tests und praktischen Arbeitserprobungen die Stärken und Schwächen, die beruflichen Neigungen und Interessen von Denise Siebert herauszufinden. Die Ergebnisse bestätigten, dass der kaufmännische Bereich für sie tatsächlich am besten geeignet ist.

 Im selben Zeitraum fanden Gespräche in kleineren Gruppen zusammen mit der Sozialpädagogin, einem Psychologen oder einem Arbeitsmediziner statt. Hier lernte Denise Siebert, besondere Belastungssituationen und Phasen mit überhöhtem Leistungsdruck zu meistern: „Die größte Hilfe für mich war zu wissen: Da ist jemand, der ist jederzeit für mich da. Das hat geholfen, Angst abzubauen und eigene Kräfte freizusetzen. Im Assessment-Center habe ich erkannt: Eine Krankheit oder Einschränkung definiert einen Menschen nicht. Ich war so viel mehr als meine Depressionen, die damals alles überschatteten.“

So gestärkt, konnte die Suche nach einem neuen Ausbildungsplatz beginnen, wurden Bewerbungsunterlagen erstellt. Die Sozialpädagogin: „Sie brauchte keine Hilfe beim Formulieren oder bei der PC-Arbeit. Das konnte sie selbständig und einwandfrei. Aber sie musste sich immer wieder rückversichern.“

Schon bald war ein kooperierender Ausbildungsbetrieb gefunden: die Ebbinghaus Automobil GmbH. Das Vorstellungsgespräch verlief optimal. Claudia Amenda-Himker: „Der Ausbildungsleiter hat die Fähigkeiten der Bewerberin sofort erkannt. Zudem hatte er volles Verständnis für das Thema Depression. Er sagte: ´Frau Siebert, ich kenne Ihre Erkrankung aus meiner eigenen Familie.` Das und der gute Eindruck beim Vorstellungsgespräch waren die Eintrittskarte für Denise. Nach einem kurzen Praktikum konnte sie ihre Ausbildung beginnen.“

Funktionierendes Kooperationsnetzwerk

Vom Berufsförderungswerk vorab eingehend informiert, gab der Betrieb seiner neuen Auszubildenden in der Startphase die nötige Anlaufzeit, aber auch Rückzugsmöglichkeiten. Doch schon bald war sie in der Lage, auch anspruchsvolle Aufgaben selbständig zu erledigen: Reparaturrechnungen erstellen, Mahnungen aufsetzen oder die Korrespondenz mit Rechtsanwälten führen. Das steigerte ihr Selbstvertrauen binnen kürzester Zeit. Denise Siebert: „Ich hatte mich vor der Ausbildung wertlos gefühlt, als wäre ich kein Teil der Gesellschaft. Das positive Feedback meines Arbeitgebers hatte mir jedoch gezeigt, dass ich das in der Berufsschule angeeignete Wissen gut in der Praxis umsetzen konnte und genauso dazugehörte und wertvoll war wie meine Arbeitskolleginnen und -kollegen.“

Dennoch kümmerte sich Sozialpädagogin Claudia Amenda-Himker weiterhin intensiv um die Auszubildende, denn besonders vor Klausuren und Prüfungen war der Druck hoch. Hilfreich war da eine gezielte Förderung in den entscheidenden Fächern wie Rechnungswesen, aber auch die stets offene Tür beim Psychologischen Fachdienst des BFW. Das alles zusammen sorgte für Sicherheit und Beruhigung.

Teilnehmende der Aktion 100 haben aber auch eine Art Bringschuld, eine Mitwirkungspflicht; sie müssen ihrerseits dazu beitragen, dass der Kontakt im engen Zusammenspiel der drei Lernorte hält. Claudia Amenda-Himker: „Es gab regelmäßige Betriebsbesuche, der Austausch mit den Ausbildern war jederzeit garantiert. In der Berufsschule gab es leistungstechnisch keinerlei Probleme, aber wir hatten gleich zu Beginn Regelungen gefunden, wie die Schule reagieren kann, wenn sich bei Denise Siebert Probleme aufgrund ihrer Erkrankung zeigen sollten.“

„Nicht nur schaffen, sondern auch sehr gut schaffen“

Im Zeitverlauf aber reduzierte sich deren Unterstützungsbedarf. Die Sozialpädagogin: „Irgendwann kippte alles zum Positiven. Sie wurde immer stärker und konnte vieles selbst regeln. Sie hat sich Schritt für Schritt von unseren Unterstützungsleistungen abgenabelt und sich weitestgehend selbständig auf die Abschlussprüfung vorbereitet.“ Die bestand sie mit der Note „sehr gut“ und landete so auf der Bestenliste der Industrie- und Handelskammer. Denise Siebert: „Gerade weil ich immer gedacht hatte, eine Ausbildung nicht zu schaffen, wollte ich mir beweisen, dass auch Menschen wie ich so etwas nicht nur schaffen, sondern auch sehr gut schaffen können.“

In ihrem Ausbildungsbetrieb erhielt sie das Angebot einer Übernahme. Da es ein befristeter Vertrag gewesen wäre, wechselte  sie den Arbeitgeber und ist heute unbefristet beim LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum beschäftigt. Vorbehalte gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen gibt es hier nicht, versichert Bernd Kruse, Abteilungsleitung Personal- und Rechtsangelegenheiten und Patientendienste sowie stellvertretender kaufmännischer Direktor: „Wir arbeiten mit vielen Berufsbildungswerken und Werkstätten für Menschen mit Behinderung zusammen, bieten ihnen auch Praktikumsplätze an. Bei der Einstellung sind uns die Person und ihre Fähigkeiten wichtig und da hat uns Frau Siebert im Vorstellungsgespräch absolut überzeugt. Wer zudem ihre Zeugnisse gesehen hat, weiß, warum wir uns für sie entschieden haben. In ihrem zukünftigen Aufgabengebiet in der Personalabteilung ist sie auch für das betriebliche Gesundheits- und Eingliederungsmanagement zuständig. Da verfügt sie aufgrund eigener Erfahrungen über eine ausgezeichnete Expertise.“

Die Begründung für die Übernahme einer Tätigkeit in ihrem jetzigen Verantwortungsbereich formuliert Denise Siebert so: „Die Zeit im BFW und bei der Aktion 100 hat mich dazu inspiriert, in der Personalentwicklung tätig zu werden, damit auch ich Menschen helfen und mich mit der Förderung ihrer Gesundheit am Arbeitsplatz beschäftigen kann.“