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Foto: Ein Mann steht vor dem Computer in der Werkstatt

Gelebte Inklusion

Teilnehmer wird Innungsbester - Aktion 100 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung in NRW

Trotz Handicap erfolgreich eine Ausbildung absolvieren. Das ist Raphael B. gelungen. Er ist Autist mit Asperger-Syndrom. Mit Unterstützung der Aktion "100 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung in NRW" fand er einen Ausbildungsplatz zum KFZ-Mechatroniker. Die Prüfung schloss er als Innungsbester ab und hat jetzt einen unbefristeten Arbeitsplatz.

Raphael B. hat ein Handicap. Der 21-jährige hat das Asperger-Syndrom, eine abgeschwächte Variante des Autismus. Die neurologische Störung hat Auswirkungen auf soziale Interaktionen, auf Kommunikation und Verhalten. Hinsichtlich der Sprache und der kognitiven Entwicklung hingegen sind meist keine Auffälligkeiten festzustellen. Oft erweisen sich Menschen mit Asperger-Syndrom sogar als besonders intelligent.

Das gilt auch für den jungen Mann, der auf einer Förderschule den Realschulabschluss erwarb. Aufgrund seiner Behinderung verlor er jedoch seinen ersten Ausbildungsplatz schon in der Probezeit. Eine kritische Phase begann - bis ihm die Agentur für Arbeit den Weg zur "Aktion 100" wies. Zum Glück, wie sich schon bald herausstellen sollte.

Individuelle Unterstützung

Und so funktioniert die "Aktion 100", bei der mehrere Partner - Betrieb, Berufskolleg und Träger der Beruflichen Bildung - eng miteinander kooperieren: Das zuständige Berufsförderungswerk oder Berufsbildungswerk schließt mit den Jugendlichen einen Ausbildungsvertrag, stellt ihnen einen Ausbildungscoach an die Seite, der die Ausbildung an den verschiedenen Lernorten koordiniert, bietet ihnen individuellen Stütz- und Förderunterricht sowie eine sozialpädagogische Begleitung. Die praktische Ausbildung indes erfolgt im Kooperationsbetrieb am ersten Arbeitsmarkt.

Zuständiges Berufsförderungswerk (BFW) für Raphael B. war das Berufsförderungswerk Düren. Hier arbeitet Dirk Bachem als Projektkoordinator und "Azubi-Coach". Für ihn sind "die Fähigkeit zuhören zu können, Empathie und Erfahrung" unverzichtbar, wenn es um die Integration junger Menschen mit Behinderung geht: "Wenn uns die Reha-Berater der Arbeitsagentur eine Kandidatin oder einen Kandidaten für die Teilnahme an der Aktion 100 zuweisen, führen wir nach Durchsicht aller Unterlagen zunächst ein sehr ausführliches Gespräch, in dem wir die ganze Lebensgeschichte der jungen Menschen kennenlernen."

Gleich anschließend beginnt die Suche nach einem geeigneten Ausbildungsbetrieb. Dirk Bachem: "Wir haben gute Kontakte zu vielen Unternehmen, aber der Betrieb muss zum Auszubildendem und seinem Handicap passen." Angesichts der vielen Arten von Behinderung alles andere als eine leichte Aufgabe: "Wir haben junge Menschen mit körperlichen Fehlbildungen, mit Morbus Crohn, Diabetes und Lernbehinderungen, zunehmend aber auch Menschen mit psychischen Erkrankungen bis hin zur Depression oder sozialen Phobie."

Das heißt: Typische Fälle gibt es nicht. Für jeden Einzelfall muss das BFW eine besondere Lösung finden. Für einen Rollstuhlfahrer kann das der Einbau einer Rampe sein und für Menschen mit psychischer Behinderung die Integration zusätzlicher kleiner Pausen in den Arbeitsprozess. Dirk Bachem: "Auch mit geringem Aufwand lässt sich mitunter eine große Wirkung erzielen."

Transparenz schafft Vertrauen

Ganz individuell auch die Unterstützung für Raphael B.. Dazu zählten die Optimierung der Bewerbungsunterlagen, die Akquise eines geeigneten Ausbildungsbetriebs und die Begleitung zum Vorstellungsgespräch. Kooperationsbetrieb war ein Autohaus in Erkelenz. Dazu sagt er: "Ich wollte unbedingt Kfz-Mechatroniker werden. Das war schon immer mein Wunschberuf." Wichtig war hier, den Geschäftsführer und die Beschäftigten des Unternehmens frühzeitig zu informieren, was bei der Ausbildung eines Menschen mit Asperger-Syndrom zu berücksichtigen ist. "Ein offenes Gespräch mit dem Betrieb", so Johannes Deller, Sozialpädagoge beim BFW Düren, "schafft Transparenz, Verständnis und Vertrauen."

Voraussetzung für eine gelingende Ausbildung ist aber auch eine Arbeitsorganisation, die Rücksicht nimmt auf die besonderen Bedarfe des behinderten Menschen. Der Sozialpädagoge: "Im ausgewählten Kooperationsbetrieb zum Beispiel durchlaufen Auszubildende grundsätzlich alle Bereiche. Für die Auszubildenden heißt das: Bei jedem Bereichswechsel müssen sie sich an einen neuen Ansprechpartner gewöhnen. Genau das war für Raphael B. nicht akzeptabel. Denn Asperger-Autisten brauchen aufgrund ihres spezifischen Kontakt- und Kommunikationsverhaltens einen festen Ansprechpartner."

BFW und Kooperationsbetrieb fanden rasch eine praktikable Lösung: Der junge Mann durchlief zwar, wie alle anderen Auszubildenden auch, sämtliche Abteilungen, hatte jedoch während der gesamten Ausbildungszeit im Betrieb immer dieselbe, also nur eine Kontaktperson.

Komplexe Kooperation

Unterstützung finden Auszubildende im Rahmen der "Aktion 100" nicht nur im beruflichen, sondern bei Bedarf auch im privaten Bereich. Dazu gehört zum Beispiel die Begleitung bei Arztbesuchen oder, wie im Fall Raphael B. bei der Suche nach einer Einrichtung für betreutes Wohnen. Stabilisierend wirkte das BFW aber vor allem bei einem persönlich-familiären Schicksalsschlag. Der junge Mann: "Das Ereignis hätte mich fast aus der Bahn geworfen. Ich war eine Zeitlang kaum arbeitsfähig. Hier stand mir das BFW jederzeit als Gesprächspartner zur Seite. Allein dass es darauf gedrängt hat, dass ich mich ordnungsgemäß krankschreiben lasse, hat sich als nützlich erwiesen. Wer weiß, ohne den Hinweis hätte ich vielleicht sogar meinen Ausbildungsplatz verloren."

Während des gesamten Ausbildungsverlaufs arbeitete das BFW nicht nur mit dem Betrieb, sondern auch mit dem Berufskolleg zusammen. Aufklärende Vorabgespräche mit Lehrkräften und Schülern sorgten dafür, dass sie sich frühzeitig auf ihren neuen Mitschüler einstellen konnten. Die gute Kooperation mit dem Berufskolleg war auch deshalb wichtig, weil junge Menschen aus der „Aktion 100“ um mehrere Monate verspätet in das Ausbildungsjahr einsteigen. Das heißt, sie müssen versäumten Unterrichtsstoff in kürzester Zeit nachholen. Auch hier hilft das BFW. Johannes Deller: "Um welchen Stoff genau es sich dabei handelt, erfragen wir rechtzeitig beim Berufskolleg. Darüber hinaus nutzen wir dessen Ausbildersprechtage um zu hören, wann welche Klausuren anstehen." Den vom BFW in diesem Kontext angebotenen Förder- und Stützunterricht indes musste Raphael B. nie in Anspruch nehmen. Dirk Bachem: "Kognitiv ist er einfach eine Kanone."

Das Engagement aller Beteiligten zahlte sich aus: Die Abschlussprüfung vor der IHK schaffte Raphael B. in seinem Jahrgang als Innungsbester! Kaum eine Überraschung vor diesem Hintergrund, dass er schon heute an eine Fortbildung zum Kfz-Meister denkt.

Exzellentes Konzept

Trotz hervorragender Leistungen: Von seinem Ausbildungsbetrieb konnte Raphael B. aus Kapazitätsgründen nicht übernommen werden. Auch in dieser Situation ließ das BFW den jungen Mann nicht allein. Schnell war ein neuer Arbeitgeber gefunden: die Autowerkstatt "Car Service Krupp" in Oberhausen.

Gleich nach dem Vorstellungsgespräch und einem einwöchigen Praktikum traf Firmenchef Markus Krupp seine Entscheidung: "Er ist ehrlich, zuverlässig, passt in unser Team und hat gezeigt, was er kann. Er ist in allen Bereichen einsetzbar, schwerpunktmäßig bei Karosseriearbeiten. Nach den sechs Monaten Probezeit habe ich ihn deshalb ohne Zögern unbefristet eingestellt." Zu Menschen mit Handicap hat der Unternehmer eine dezidierte Meinung: "Wir dürfen sie nicht verstecken oder allzu schnell in Werkstätten für Menschen mit Behinderung abschieben. Jeder hat eine Chance verdient. Falls ich wieder mal einen freien Ausbildungsplatz habe, kann ich mir durchaus vorstellen, ebenfalls als Kooperationsbetrieb zu fungieren."

Er, der Arbeitgeber, die Beschäftigten vom BFW und Raphael B. sind sich einig: "Das Gesamtkonzept der Aktion 100 ist einfach exzellent! Von ihr profitieren nicht nur die einzelnen Menschen mit einer Behinderung, sondern auch Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie die Gesellschaft insgesamt!"

Auch die sonstigen Erfolge des BFW Düren im Rahmen der "Aktion 100" können sich sehen lassen: Die Quote der Ausbildungsabbrüche der jungen Menschen mit Behinderung liegt hier unter der aller anderen Auszubildenden im Kammerbezirk, und von jenen, die bis zum Schluss durchhalten, schaffen 95 Prozent die Abschlussprüfung – eine beeindruckende Zahl. Sie zeigt: Raphael B. ist alles andere als ein Einzelfall.

Kraftfahrzeugmechatroniker/innen warten Kraftfahrzeuge. Sie prüfen die fahrzeugtechnischen Syste­
me, führen Reparaturen aus und rüsten die Fahrzeuge mit Zusatzeinrichtungen, Sonderausstattungen
und Zubehörteilen aus.

Die Ausbildung dauert 3,5 Jahre und ist in verschiedenen Schwerpunkten möglich, zum Beispiel Personenkraftwagentechnik oder Nutzfahrzeugtechnik.