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Werkstattjahr - Fachtagung mit Minister Laumann

Gesamtfoto der Beteiligten

„Junge Menschen in prekären Lebenslagen nicht vergessen und nicht verlieren“

Das Werkstattjahr ist ein von der Europäischen Union gefördertes Angebot des nordrhein-westfälischen Arbeitsministeriums im Übergang Schule-Beruf. Am 14. November 2022 fand in Münster der sechste Erfahrungsaustausch für die am Werkstattjahr beteiligten Bildungsträger statt. Minister Karl-Josef Laumann bekräftigte bei dem Dialog den hohen Stellenwert der beruflichen Integration benachteiligter junger Menschen auch in der zukünftigen Arbeitsmarktpolitik.

Jungen Menschen mit vielschichtigen Problemen fehlt es oft an Motivation, an Schlüsselqualifikationen und Kompetenz. Ohne Unterstützung läuft ihre Zukunft womöglich auf Arbeitslosigkeit oder lebenslange prekäre Beschäftigung hinaus.

An sie richtet sich das Werkstattjahr, ein niedrigschwelliges Angebot des Arbeitsministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW), der Agenturen für Arbeit und Jobcenter im Übergang Schule-Beruf, das exakt auf die komplexen Förderbedarfe der jungen Menschen ausgerichtet ist. Das Werkstattjahr soll noch nicht ausbildungsreife Jugendliche auf die Aufnahme einer betrieblichen Berufsausbildung vorbereiten.

Für die Umsetzung des Programms in den Regionen sind Bildungsträger verantwortlich. Ihre Erfahrungen standen im Mittelpunkt der von der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.) organisierten Veranstaltung im Münster. Das unterstrich G.I.B.-Geschäftsführer Karl-Heinz Hagedorn in seiner Begrüßungsrede mit der Formulierung: „Wir sind hier, um zu hören, was Sie uns zu sagen haben.“

Auch Dr. Jens Stuhldreier, Referatsleiter im MAGS NRW, verwies auf „die gute Tradition des Erfahrungsaustauschs“. Der Dialog mit den beteiligten Bildungsträgern sei eine gute Grundlage für das Ministerium, um zu entscheiden, „ob Förderleistungen für das Werkstattjahr als integralem Bestandteil der Landesinitiative ´Kein Abschluss ohne Anschluss` an der ein oder anderen Stelle anzupassen sind“. Zwar sei die Fachkräftesicherung im MAGS gegenwärtig und in naher Zukunft das dominierende Thema, „doch darüber dürfen wir die jungen Menschen in prekären Lebenslagen nicht vergessen und nicht verlieren.“

Überzeugende Zahlen

Dem Blick in die Zukunft ging in Münster ein Rückblick voraus: Anne Sabine Meise (G.I.B.) stellte die Ergebnisse des Programm-Monitorings „Werkstattjahr 2020-2022“ vor. Demnach waren im genannten Zeitraum 1.527 Eintritte in das Werkstattjahr zu verzeichnen. Das Durchschnittsalter der Jugendlichen lag bei 17 Jahren. Besonders aussagekräftig zwei weitere Zahlen: 45 Prozent Jugendlichen waren im Arbeitslosengeld II-Bezug und mehr als 51 Prozent von ihnen hatten - noch - keinen Schulabschluss.

Doch welche Erfolge bewirkte die Teilnahme am Werkstattjahr? Auch darüber gab das Monitoring Auskunft: Bei den obligatorischen Beurteilungsgesprächen zum Teilnahmeverhalten der Jugendlichen lautete die Bewertung in rund der Hälfte aller Fälle „gut“. So positiv bewertete Jugendliche erhielten eine Leistungsprämie, deren Zahlung die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Jugendlichen zugleich anerkennen und weiter fördern soll.

Besonderes Augenmerk galt beim Monitoring den betrieblichen Praxisphasen, denn in Kombination mit der praktischen, produktiven Tätigkeit beim Bildungsträger dienen sie der beruflichen Qualifizierung. Hier ergab sich, dass 42 Prozent der ehemaligen Teilnehmenden während ihrer Teilnahme betriebliche Praxisphasen absolviert hatten, davon mehr als ein Drittel sogar in zwei oder mehr Betrieben.

Unbedingt zu erwähnen sind zwei weitere Erfolge: So fand ein Drittel aller Teilnehmenden mit Praktikum im Anschluss an das Werkstattjahr eine Beschäftigung oder einen Ausbildungsplatz im Praktikumsbetrieb. Insgesamt 52% der Teilnehmenden fanden eine Anschlussperspektive.

„Hier geht es auch um mich“

Den Zahlen folgte die Theorie: „Jugendliche stärken - Motivation fördern“ war der Themenschwerpunkt beim aktuellen Erfahrungsaustausch der Bildungsträger. Dazu referierte Dr. Ulrich Weiß von der Kolping Hochschule für Gesundheit und Soziales in Köln. In seinem Vortrag ging es um „Anerkennungsbeziehungen und Motivation aus Sicht der Jugendlichen“ und um die Schlussfolgerungen, die sich daraus für die Arbeit der Bildungsträger ergeben. Deutlich wurde dabei, dass Anerkennung, Motivation und Kompetenz sich gegenseitig bedingende Faktoren sind, wenn Jugendliche im Werkstattjahr dazu befähigt werden sollen, eine „erwerbsbiografische Eigenverantwortung“ zu übernehmen.

Von Institutionen können Menschen jedoch vor allem dann anerkannt werden, stellte der Forscher klar, wenn sie ihrerseits die Institutionen anerkennen. Daraus ergibt sich etwa beim Übergang von der Schule in den Betrieb oft „eine krisenhafte Situation, weil sich neue Anerkennungsbedingungen stellen, die Jugendliche, die häufig selbst aus prekären familiären Anerkennungsbeziehungen kommen, noch nicht kennen“.   

Anerkennung aber sei genauso unverzichtbar wie Selbstbestimmung „und die wächst weniger über Pünktlichkeit als vielmehr beim Sinn-Erleben“. Zusätzlich motivierend wirken soziale Eingebundenheit, Autonomieerleben, also die Möglichkeit zum Mitgestalten, sowie das Erleben von Kompetenz im Sinne einer reflexiven Handlungsfähigkeit. Jugendliche sollten erfahren, so Ulrich Weiß: „Hier geht es nicht nur um Fachkräftesicherung, sondern hier geht es auch um mich als Mensch.“ Wo das gelingt, ist nach seinen Forschungsergebnissen der Klebeeffekt nach einem Praktikum in den Betrieben am größten.

Seinen Vortrag hatte der Wissenschaftler als Dialog konzipiert, insofern er die praktischen Erfahrungen der zuhörenden Bildungsträger immer wieder in seine Überlegungen einfließen ließ. Widerspruch erntete er etwa mit seiner Relativierung von Pünktlichkeit. Hier stellten die praxiserfahrenen Bildungsträger unmissverständlich klar, dass das Einhalten zeitlicher Vorgaben sowohl im Werkstattjahr wie auch bei den Praktikumsplätzen anbietenden kleinen und mittleren Unternehmen unerlässlich ist.

„Das hast du gut gemacht!“

Die Verknüpfung von Politik, Wissenschaft und Praxis fand im anschließenden Podiumsgespräch statt. An ihm nahm auch Minister Karl-Josef Laumann teil, der es sich nicht nehmen ließ, bei der Diskussion über das Werkstattjahr, „diesem Klassiker im Übergang von der Schule in den Beruf“, persönlich zu erscheinen. Er versicherte, dass die Integration benachteiligter junger Menschen auch angesichts des Megathemas Fachkräftesicherung in der Arbeitsmarktpolitik des Landes weiterhin einen hohen Stellenwert haben wird: „Die jungen Menschen und ihre Anliegen dürfen nicht unter die Räder kommen!“

Im weiteren Verlauf des Gesprächs bekannte er sich klar zu der Neuerung die Leistungsprämie nicht viertelfjährlich, sondern monatlich auszuzahlen: „Die Jugendlichen, die am Werkstattjahr teilnehmen, müssen sehen, dass es sich lohnt. Sie müssen auch schnelle Erfolge erleben. Das steigert ihre Motivation, weitere kleine Schritte in Richtung Beruf zu gehen.“

Nicht nur darin stimmte Minister Laumann mit seinen Dialogpartnern Herbert Dörmann von der „Werkstatt im Kreis Unna“, Andreas Schlieker vom Verein „Lernen fördern“ (Steinfurt) und Olaf Biermann vom Wichernhaus Wuppertal überein. Von ihnen erfuhr der Minister zudem von den neuen Herausforderungen, denen sich Bildungsträger bei der praktischen Arbeit im Werkstattjahr gegenübersehen. Zu nennen ist da etwa die nicht nur durch Corona gewachsene psychische Beeinträchtigung der jungen Menschen und ihre zunehmende Bewegungsarmut, sondern auch die fehlenden Deutschkenntnisse seitens geflüchteter Menschen oder die mangelnde Förderung von Qualifizierungsbausteinen, um bei den Jugendlichen Erfolgserlebnisse zu schaffen. Großes Interesse bestand zudem, so erfuhr der Minister, an gemeinsamen Fortbildungsangeboten für beteiligte Bildungsträger. Dass sie, die Träger, neben Analysen und Theorien immer auch die Praxis im Blick haben, illustrierte eine Aussage, die bei Allen Zustimmung fand: „Manchmal muss man dem jungen Menschen auch einfach auf die Schulter klopfen und ihm sagen: Das hast Du gut gemacht!