„Mehr Jobbörsen schaffen und damit kürzere Wege“ - Gespräch zur Fachkräftesituation in der Region Bonn / Rhein-Sieg
Leiterin der Regionalagentur Bonn / Rhein-Sieg Martina Schönborn-Waldorf im arbeit.nrw-Interview
Die Regionalagentur Bonn / Rhein-Sieg unterstützt auf regionaler Ebene die Fachkräfteoffensive des Landes. Ein Gespräch mit der Leiterin der Regionalagentur Martina Schönborn-Waldorf zur Fachkräftesituation vor Ort.
ARBEIT.NRW: Frau Schönborn-Waldorf, wie ist die Lage auf dem Fachkräftearbeitsmarkt in Ihrer Region?
Martina Schönborn-Waldorf: Hochgradig angespannt - wie überall. In den nächsten Jahren werden voraussichtlich 23,8 Prozent der Beschäftigten in den Ruhestand gehen. Gleichzeitig werden deutlich weniger junge Menschen ins Berufsleben einsteigen. Hinzu kommt: Die Region Bonn/Rhein-Sieg ist eine Hochbildungsregion. 20 Prozent der Beschäftigten sind Akademikerinnen und Akademiker. 55 Prozent der Schulabsolventinnen und -absolventen haben eine Hochschulzugangsberechtigung. Das heißt: Betriebe müssen ordentlich die Werbetrommel rühren, um ihre Ausbildungsplätze besetzen zu können. Immerhin: Im vergangenen Jahr hat knapp die Hälfte aller Abiturientinnen und Abiturienten eine duale Ausbildung beziehungsweise ein duales Studium begonnen, sind also nicht direkt oder zumindest nicht ausschließlich zur Uni gegangen. Da kommt anscheinend etwas in Bewegung. Insgesamt aber haben wir nicht nur einen Fachkräfte-, sondern allgemein einen Arbeitskräftemangel.
ARBEIT.NRW: Was haben Sie als Regionalagentur im Handlungsfeld Fachkräftesicherung bislang unternommen?
Martina Schönborn-Waldorf: Mit dem Thema sind wir - wenn auch mit anderen Vorzeichen - schon befasst, seit die Bundesregierung vor Jahrzehnten nach Berlin gezogen ist. Von heute auf morgen fielen damals 30.000 Arbeitsplätze weg. Da war die Frage: Wie kriegen wir das kompensiert? Zum Glück kamen „Tauschbehörden“ von Berlin hierher und damit Arbeitskräfte. Da haben wir schon früh eng mit der Arbeitsagentur kooperiert und große Jobbörsen in Bonn wie im Umland organisiert.
In dieser Kontinuität haben wir das Bündnis für Fachkräfte entwickelt, um dem Ganzen eine Struktur zu geben und weil klar war: Das geht nur gemeinsam. Wir müssen Vorhaben gemeinsam finanzieren, effizienter werden in unserem Handeln und uns strategisch gut aufstellen. Wir sind nicht von Natur aus eine homogene Einheit. IHK und DGB haben nun mal unterschiedliche Arbeitsaufträge und selbst Behörden wie eine Arbeitsagentur tickt anders als eine Stadtverwaltung oder Wirtschaftsförderung. Gemeinsam etwas Neues zu entwickeln war ein richtiger Kultursprung. Dafür haben wir uns aber auch zwei Jahre Zeit genommen. Hilfreich war da die Förderung des Landes über EFRE-Mittel zur Finanzierung eines richtigen Managementprozesses, in den alle Beteiligten viel Zeit investiert haben. Vorteilhaft war dabei sicher, dass an dem Prozess hat die jeweilige Geschäftsführungsebene unserer Partner teilgenommen hat, also Menschen mit Entscheidungsbefugnissen und Gestaltungsmacht.
ARBEIT.NRW: Warum waren speziell die Regionalagenturen Initiatoren und Treiber in dem Prozess?
Martina Schönborn-Waldorf: Weil wir die Neutralen sind. Wir sind schon immer in der Region als neutraler Partner wahrgenommen worden. Neutralität ist ein zentrales Charakteristikum der Idee Regionalagentur. Wir sind „die vom Land“ und damit sind wir neutral. Wir konkurrieren nicht mit den anderen Akteuren und streben das auch gar nicht an. Im Gegenteil: Wir wollen verbinden. Wir lassen uns auch von keiner anderen Einrichtung vor ihren Karren spannen. Wir sind oft angefragt worden, bei parteipolitischen Veranstaltungen aufzutreten, aber das haben wir immer abgelehnt, denn wir sind keiner Partei zuzuordnen. Wir haben einen Auftrag und an dem orientieren wir uns. Das verschafft uns eine hohe Akzeptanz bei allen Akteuren.
ARBEIT.NRW: Worin sehen Sie die Bedeutung des Ministerbesuchs im Rahmen seiner Fachkräftetour, worin besteht der Erfolg?
Martina Schönborn-Waldorf: Unsere regionalen Bündnispartner empfinden den Besuch des Ministers eindeutig als Zeichen der Wertschätzung ihrer Arbeit. Deshalb war es für uns auch überhaupt kein Problem, eine so hohe Zahl an Personen für die Teilnahme an der Veranstaltung zu gewinnen. Das Interesse war groß, auch seitens der Beschäftigten, Kammern und Unternehmen, was zugleich die Relevanz des Themas unterstreicht. Für uns ist es ein Erfolg, dass der Minister vermutlich sehr gut mitbekommen hat, was wir in dem Handlungsfeld alles unternehmen und dass wir mit dem Bündnis ein sehr gutes Netzwerk mit hoch entwickelter Vertrauenskultur haben. Zugleich, davon gehen wir aus, hat er seinerseits Anregungen erhalten, wo und wie das Land vielleicht noch nachjustieren kann, wenn es um das Thema Fachkräftesicherung geht.
ARBEIT.NRW: Was nehmen Sie Ihrerseits aus der Veranstaltung mit? Hat die Veranstaltung auch Sie zu neuen Ideen inspiriert?
Martina Schönborn-Waldorf: Eindeutig ja. Wir wollen die Themen, die auf unserer Agenda stehen, jetzt noch mal konzentrierter angehen. Wir wollen die bereits erwähnten Jobbörsen der Vergangenheit noch mal in intensivierter Form veranstalten. Ich glaube, das ist ein gutes, unmittelbares Angebot, um Vermittlung in Arbeit zu pushen. Die Jobcenter machen da sofort mit. Sie sind super engagiert, aber wir wollen natürlich auch die Kammern gewinnen. Wir werden nicht in jedem Dorf der Region eine Jobbörse veranstalten können, aber wir stehen in Kontakt mit den einzelnen Wirtschaftsförderungen der 19 Gemeinden unserer Gebietskörperschaft. Vielleicht können sich drei oder vier von ihnen zusammenschließen und gemeinsam eine Jobbörse auf den Weg bringen, denn sie haben den unmittelbaren Kontakt zu den Betrieben, die nach Fachkräften rufen. Kurzum: Wir müssen auch innerhalb der Region stärker in die Breite gehen, auch wenn zentrale Veranstaltungen weiterhin unverzichtbar sind.
Solche Jobbörsen könnte es übrigens analog zu den Ausbildungsveranstaltungen mancher Orte geben, die ebenfalls vom Interesse der Menschen an kurzen Wegen profitieren. Beim Thema Ausbildung werden wir in unserem Engagement sowieso nicht nachlassen, im Gegenteil. Wir wollen versuchen, Angebote wie die des Vereins „Ausbildung statt Abschiebung“ noch näher an die Ausbildungswege und die zur Verfügung stehenden Landesprogramme heranzuführen oder auch Welcome Center zu schaffen. Da geschieht schon einiges, aber nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte.
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