
Modellprojekt „Chance.“
Förderansatz zur persönlichen und beruflichen Förderung von Familien im SGB II-Leistungsbezug
In Nordrhein-Westfalen liegt der Anteil der Kinder unter 18 Jahren, die in Bedarfsgemeinschaften im Leistungsbezug der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) leben, bei fast 18%. Die Rahmenbedingungen für Familien im SGB-II-Bezug haben sich aufgrund der Corona-Pandemie verschlechtert, ihnen droht trotz vielseitiger Bemühungen und Angebote der Jobcenter die soziale Isolation und die gesellschaftliche Exklusion. Die Corona-Krise erschwert zudem die Möglichkeiten für die Kinder auf einen nahtlosen Übergang von der Schule in berufliche Erstausbildung. Zusätzlich beeinflussen die Erfahrungen, die sie in den Bedarfsgemeinschaften machen, das Vertrauen in erfolgreiche Zukunftsperspektiven und einen gelingenden Ausstieg aus dem SGB-II-Leistungsbezug. Sie erleben Prozesse generationenübergreifender sozialer Benachteiligung von Bedarfsgemeinschaften in prekären Lebensverhältnissen.
Mit dem Modellprojekt „Chance.“ wollen die beteiligten Jobcenter genau dort einen arbeitsmarktpolitischen Beitrag leisten, dauerhafte Ausgrenzung der Familien vom Arbeitsmarkt zu verhindern und deren Lebensperspektiven nachhaltig zu verbessern. Die kooperierenden Jobcenter in verschiedenen Regionen in NRW werden neue Wege und Herangehensweisen zur besseren beruflichen, sozialen und schulischen Integration von Bedarfsgemeinschaften im SGB II umsetzen. Die innovativen Ansätze sollen den individuellen Anforderungen und Bedarfen der unterschiedlichen Regionen entsprechen, spezifische Integrationswege für Jobcenter erproben und Vielfalt ermöglichen. Das soll gelingen, indem lokalen Problemlagen und Bedarfen zur Integration der Zielgruppe, der Ausbau vorhandener oder der Aufbau neuer regionaler Netzwerke sowie einer nachvollziehbaren, agilen Ausgestaltung des Projekts besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Ziele des Projektansatzes
Vorrangiges Ziel des Modellprojektes ist es zu erproben, inwieweit Ausgrenzungsprozesse marginalisierter Familien und anderer Lebensgemeinschaften verhindert werden können. Das Modellprojekt „Chance.“ soll – in Weiterentwicklung lokaler Zielgruppenangebote – für Bedarfsgemeinschaften mit Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen am Übergang von der Schule in den Beruf ein passgenaues und möglichst durchgängiges Fördersystem schaffen.
In ausgewählten Städten und Landkreisen sollen über die Schließung vorhandener Lücken zwischen bereits vorhandenen Regelangeboten oder drittmittelgeförderten Projekten eine rechtskreisübergreifende Verzahnung der Akteure und Angebote erreicht und eine durchgängige Förderung ermöglicht werden, um ein „Verlorengehen“ der Zielgruppe zu verhindern. Mit dem Modellprojekt werden die Grenzen des regulären Beratungssettings erweitert und damit die Handlungsmöglichkeiten des Regelgeschäftes optimiert.
Kurzbeschreibung des Projekts
In Anlehnung an die systemische Berufs- und Laufbahnberatung sollen die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Kontext ihrer familiären und darüber hinaus gehenden sozialen Bezüge gemeinsam Lösungsstrategien entwickeln, die ihre dauerhafte Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt verhindern und nachhaltig ihre Lebensperspektiven verbessern.
Unter Berücksichtigung aller gewonnenen Erkenntnisse zur Familie oder Bedarfsgemeinschaft in ihrer Gesamtheit wird es im Rahmen des Projektes im Wesentlichen darum gehen, die beste Lösung zu finden, die die Familie in die Lage versetzt, ohne staatliche Transferleistungen ihren Lebensunterhalt auskömmlich zu sichern.
Das Modellprojekt will dabei deutlich über klassische einzelfallbezogene Herangehensweisen hinausgehen und im Sinne einer systemischen Strategie die gesamte Familie mit all ihren Problemsegmenten in den Fokus nehmen. Arbeitsmarktpolitik verbindet sich mit sozialintegrativen Instrumenten zu einer personenübergreifenden Strategie, die die persönlich-soziale Entwicklung ebenso wie den beruflichen Kompetenzerwerb fördert.
Dieser Ansatz trägt der Erfahrung Rechnung, dass ein fester Teil früherer Sozialhilfe- und heutiger SGB-II-Haushalte über mehrere Generationen hinweg die eigene Bedürftigkeit reproduziert. Im Rahmen des Projektes soll deshalb auch einerseits ausgelotet werden, ob und in welcher Weise Abwehrstrategien wirksam und welche „Gegenstrategien“ erfolgreich sind, andererseits aber auch, ob bei ganzheitlicher Betrachtung des Systems Familie ggf. wechselseitige Unterstützungs- und Aktivierungsaktivitäten sichtbar werden und wie sich diese als mögliche Chance für eine soziale und arbeitsmarktliche Weiterentwicklung nutzen lassen. Wesentlich ist, dass dabei das „System“ Familie immer im Blick bleibt und stabilisiert wird, Veränderungserfordernisse (behutsam) angegangen werden, zum Beispiel auch, wenn es darum geht, gängige Rollenklischees zu überwinden („Familienernährer“ vs. Verantwortung für Haus- und Familienarbeit).
Mit einem Innovationstopf sollen integrierte Konzepte zur Förderung der Bedarfsgemeinschaften finanziell flankiert werden. Die Ansätze werden ergänzend zur Regelstruktur und weiteren lokalen und überregionalen Projekten, wie beispielsweise dem „Werkstattjahr“, „Kurs auf Ausbildung“, „Durchstarten“ oder „Kein Abschluss ohne Anschluss“, umgesetzt. Die beantragten Projektmittel aus dem Innovationstopf füllen inhaltliche Lücken und erschließen zusätzliche Ressourcen, für die keine herkömmliche Finanzierung zur Verfügung steht.
Wissenschaftliche Begleitung
Das Modellprojekt „Chance.“ wird während der Laufzeit wissenschaftlich begleitet und endet mit einem Bericht durch eine externe Evaluierung, der kritisch den Verlauf des Modellprojektes würdigt und Verbesserungen aufzeigt, die in die Weiterentwicklung des SGB II einfließen sollen. Die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitung bilden zudem die Grundlage für ein Handlungskonzept zur erfolgreichen landesweiten Implementierung des konzipierten und verwirklichten familienintegrativen Ansatzes zur Förderung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Bedarfsgemeinschaften.