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Teilzeitberufsausbildung Interview Gisela Oster

Foto: Gisela Oster, Handwerkskammer Münster

"Es gibt den Trend zu mehr Teilzeitberufsausbildung"

Netzwerkarbeit in der Region - Erfahrung und Gute Praxis im Münsterland

Diplom-Ingenieurin Gisela Oster ist Ausbildungsberaterin bei der Handwerkskammer Münster. Sie ist zugleich Mitglied im Bündnis für Teilzeitberufsausbildung der  Emscher-Lippe-Region als auch im Netzwerk zur Teilzeitberufsausbildung Münsterland. Im Interview erläutert sie Erfahrungen der Netzwerkarbeit.

ARBEIT.NRW: Frau Oster, was war für die Handwerkskammer Münster der Anlass, sich im „Netzwerk Teilzeitberufsausbildung“ zu engagieren?

Gisela Oster: Ausgangspunkt für unser Engagement sind die Probleme, die auftreten, wenn eine junge Frau während ihrer Berufsausbildung schwanger wird und die Gefahr besteht, dass sie ihre Ausbildung abbricht und später nur schwer oder gar nicht in den Beruf zurückfindet. Auch die Arbeitgeber fragten in diesen Fällen schon vor Jahren nach Möglichkeiten, wie sie diesen jungen Müttern mit einer geänderten Arbeitszeit entgegen kommen könnten. Die Betriebe haben Zeit, Mühe und Geld in die Ausbildung investiert und fürchten jetzt, eine bewährte Auszubildende zu verlieren, die sie gerne langfristig an den Betrieb binden würden. Hier bietet sich als Lösung eine Teilzeitausbildung an, denn sie ist für beide Seiten attraktiv. Wir wollten das Wissen über die Möglichkeiten einer Teilzeitberufsausbildung stärker in den Köpfen der jungen Menschen wie auch der Arbeitgeber verankern. Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern im Netzwerk ist dabei eine große Hilfe.

ARBEIT.NRW: Wie sieht Ihre Beratung in diesen konkreten Fällen aus? Inwiefern ist das Netzwerk dabei von Nutzen?

Gisela Oster: Wir führen auch Kontaktbesuche durch, aber meist kommen Ausbilderinnen und Ausbilder auf uns zu, wenn eine ihrer Auszubildenden schwanger geworden ist. In diesen Fällen fragen wir sie, ob sie auch schon mal an eine Teilzeitausbildung gedacht haben. Die erste Reaktion ist oft ablehnend, doch mit zunehmender Information erscheint ihnen die Möglichkeit durchaus attraktiv.

Doch auch als Befürworter einer Teilzeitberufsausbildung achten wir bei den jungen Menschen darauf, ob tatsächlich eine Ausbildungsfähigkeit für diese Ausbildungsform vorliegt, denn Bedingung dafür ist ein stabiles privates Umfeld. Die jungen Mütter müssen ja auch weiterhin in der Berufsschule lernen und sich im Betrieb integrieren. Wenn sie damit nicht auf Dauer überfordert sein wollen, brauchen sie Unterstützung in der Partnerschaft, bei den Eltern, im Bekanntenkreis oder in der Nachbarschaft. Das gilt insbesondere für Phasen der „überbetriebliche Lehrlingsunterweisung“, wie sie in manchen Handwerksberufen obligatorisch ist. Sie erfolgt zentral in den Bildungszentren der Handwerksorganisationen. Während dieser Zeit muss die Kinderbetreuung sichergestellt sein.

Unterstützung, in erster Linie finanzielle, brauchen Teilzeitberufsauszubildende vor allem beim Start, denn ihre Ausbildungsvergütung darf der Betrieb anteilmäßig reduzieren. Viele Betriebe machen das auch mit Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz. Doch diese jungen Mütter haben meist bereits eine eigene Wohnung und müssen die Kinderbetreuung finanzieren, sind also auf das Geld angewiesen.

In dieser Übergangsphase spielen die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter mit ihren Gleichstellungsbeauftragten, die ebenfalls im Netzwerk vertreten sind, eine wichtige Rolle. Das gilt übrigens auch für die Fälle, in denen junge Mütter oder Väter aufgrund ihrer Kinder eine Ausbildung gar nicht erst in Betracht ziehen. Hier können die Arbeitsagenturen und Jobcenter auf die Vorteile einer Teilzeitberufsausbildung hinweisen.

Ein wichtiger Netzwerk-Akteur ist auch das Jugendamt mit seinem Beratungsangebot zur Kinderbetreuung. Außerdem haben etwa die Städte Herten, Gelsenkirchen und Recklinghausen im Netzwerk vertretene Beschäftigungs- und Qualifizierungsträger wie RE/init e.V und das Bildungszentrum des Handels. Im Münsterland ist es die GEBA – Gesellschaft für Berufsförderung und Ausbildung mbH und die Berufsbildungsstätte Ahaus, die mit TEP-Maßnahmen unterstützen. Sie bieten sozialpädagogische Hilfe an und fungieren vor Ort als Anlaufstelle. Ohne dieses Netzwerk wäre eine so umfassende und aufeinander abgestimmte Hilfe für Teilzeitauszubildende gar nicht möglich.

ARBEIT.NRW: Lassen sich Erfolge Ihrer Netzwerkarbeit auch quantitativ dokumentieren? Wie hat sich die Zahl der Teilzeitauszubildenden in Ihrem Handwerksbezirk entwickelt?

Gisela Oster: Wir können nicht exakt sagen, wie sich die Netzwerkarbeit auf die Zahlen auswirken, aber wir haben mit unseren Aktivitäten sicher dazu beigetragen, dass Teilzeitberufsausbildung in den Betrieben heute viel bekannter ist als früher.

Seit 2003 erfassen wir die Zahl der abgeschlossenen Teilzeitausbildungsverträge mit unserer EDV. Zählten wir damals gerade mal vier entsprechende Verträge, waren es 2013 schon 40. Bis 2013 wurden insgesamt bereits 168 Lehrverträge in Teilzeit abgeschlossen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass es sich um Daten handelt, die zu Beginn der Berufsausbildung erhoben werden. Das heißt: Vertragsänderungen von einer regulären in eine Teilzeitberufsausbildung bleiben meist unberücksichtigt. Die tatsächliche Zahl an Teilzeitberufsausbildungen in unserem Kammerbezirk dürfte also noch größer sein.

Insgesamt zeichnet sich ein Trend zu mehr Teilzeitausbildung an. Das ist auch nicht erstaunlich, denn die Betriebe versuchen mit allen Mitteln, motivierte und leistungsfähige junge Leute zu finden - erst recht angesichts zurückgehender Zahlen an Schulabsolventen. Das steigende Interesse der Betriebe an Teilzeitberufsausbildung ist sicher auch auf die positiven Erfahrungen von Ausbildungsbetrieben mit Modellen der Teilzeitausbildung zurückzuführen. Demnach sind Arbeitsleistung und Lernerfolg der Lehrlinge gleich hoch, doch hinsichtlich Zuverlässigkeit und Motivation schneiden Teilzeitberufsauszubildende sogar besser ab als „Vollzeit-Lehrlinge“.

Hinzu kommt das vergleichsweise hohe Bildungsniveau der Teilzeitberufsauszubildenden: Von den 168 Personen mit einem entsprechenden Vertrag haben die allermeisten einen Hauptschul- oder Realschulabschluss, elf von ihnen haben das Abitur. Insofern ist diese Personengruppe für Handwerksbetriebe hochinteressant.

ARBEIT.NRW: Ist es im Handwerk schwieriger, Teilzeitberufsausbildungsplätze zu schaffen als etwa in der Industrie?

Gisela Oster: Nein, das kann man so pauschal nicht sagen, es ist abhängig vom konkreten Beruf. In unserem Kammerbezirk konzentriert sich Teilzeitberufsausbildung auf die Bereiche Büro, Verkäuferin sowie Frisörin, aber wir haben auch Teilzeitberufsausbildungen in den Bereichen Tischlerei, Zahntechnik oder Augenoptik sowie eine Orthopädieschuhmacherin und eine Anlagenmechanikerin in Teilzeitberufsausbildung. Das heißt: Grundsätzlich ist eine Teilzeitberufsausbildung in allen Berufen möglich.

In „typischen“ Männerberufen ist Ausbildung in Teilzeit aber noch relativ selten. Mitunter ist das auch nachvollziehbar. Wie soll ein kleines Bauunternehmen das organisieren, wenn etwa sechs Kollegen gemeinsam im Bulli zur Baustelle fahren und eine Teilzeitberufsauszubildende nach sechs Stunden sagt: Ich muss jetzt aber nach Hause. Doch auch im Baubereich finden sich Büroberufe, so dass auch in dieser Branche eine Teilzeitberufsausbildung möglich ist. Wir stellen fest: Wenn ein Betrieb mit seiner ersten Teilzeitberufsauszubildenden - was meist der Fall ist - gute Erfahrungen gemacht hat, ist er auch in Zukunft offen für diese alternative Ausbildungsform.

Der Vorteil im Handwerk: Viele Inhaberinnen oder Inhaber unserer meist kleinen, familiengeführten Betriebe kennen die Herausforderungen für junge Mütter und Väter aus eigener Erfahrung und verhalten sich deshalb oft sehr kooperativ. So stellt in unserem Bezirk der Inhaber eines Malerbetriebs seine Teilzeitberufsauszubildenden ein Firmenfahrzeug zur Verfügung, damit sie ihr Kind zur Kinderbetreuung fahren kann. Betriebe müssen in diesen Fällen aber auch darauf achten, ihre anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ins Boot holen, damit keine Neidgefühle entstehen.

Um das Thema Teilzeitberufsausbildung noch mehr in die Fläche zu tragen, haben wir zusammen mit dem TBA-Netzwerk „GEBA“ in Münster alle Lehrlingswarte - das sind Ausbildungsexperten einer Handwerksinnung, die in ihrer Region beschäftigte Lehrlinge betreuen - in unser Bildungszentrum eingeladen, haben über das Thema informiert und best-practice-Beispiele vorgestellt. Das hat lebhafte Diskussionen und großes Interesse erzeugt. All das gibt Anlass, auch zukünftig mit steigenden Zahlen an Teilzeitberufsausbildungsverträgen zu rechnen. Den Unternehmen ist jedenfalls zuraten, sich intensiver als bisher mit diesem Ausbildungsmodell zu befassen.