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Auszubildende misst Blutdruck einer Patientin

„Jetzt ist es perfekt“ – junge Mutter mit Fluchthintergrund überzeugt in der Ausbildung

Teilzeitberufsausbildung - Einstieg begleiten - Perspektiven öffnen (TEP) – gefördert aus Mitteln des Landes und der Europäischen Union - Praxisbeispiel aus Ostwestfalen-Lippe

Die anspruchsvolle Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten in einer Schwerpunktpraxis für Diabetologie ist für Jian Mahmoud gut zu meistern. Die junge Mutter, 2016 aus Syrien geflüchtet, ist im zweiten Lehrjahr und wurde vom TEP-Träger Netzwerk Lippe gGmbH auf die Ausbildung vorbereitet. Nach einem gescheiterten Ausbildungsstart in Vollzeit sind Auszubildende und Arztpraxis mit dem neuen Arbeitsmodell in Teilzeit mehr als zufrieden.

Trägerverbund setzt TEP-Förderprogramm in Ostwestfalen-Lippe um

Mit dem EU geförderten Programm "TEP - Teilzeitberufsausbildung - Einstieg begleiten - Perspektiven öffnen" unterstützt das Land Nordrhein-Westfalen Menschen mit Familienverantwortung, eine Ausbildung in Teilzeit zu absolvieren.

In der Region Ostwestfalen-Lippe hat sich ein Trägerverbund zusammengeschlossen, um das ESF-geförderte Programm umzusetzen und die Ausbildung in Teilzeit bekannt zu machen. Beteiligt ist die gemeinnützige Beschäftigungsgesellschaft Netzwerk Lippe in Detmold, die aktuell über 13 der insgesamt 62 Teilnahmeplätze in der Region verfügt. Jian Mahmoud hat hier am TEP-Programm teilgenommen und durch die Unterstützung erfolgreich den Weg in die Ausbildung gefunden. Ihr Beispiel zeigt auch, wie flexibel sich eine Ausbildung in Teilzeit gestalten lässt.

Gesucht: Auszubildende mit Migrationshintergrund

Das Jobcenter hatte die junge Frau, die verheiratet ist und einen kleinen zweijährigen Sohn hat, an das Programm und damit an den TEP-Träger in Detmold verwiesen. Wie alle Teilnehmenden wurde sie in den ersten Monaten zunächst bei der Entwicklung ihrer persönlichen Perspektiven unterstützt und individuell auf den Übergang in die Ausbildung vorbereitet.

Da sie im Rahmen einer Einstiegsqualifizierung schon ein längeres Praktikum in einer Arztpraxis absolviert hatte - wie sie sagt mit viel Freude –, war der Berufswunsch frühzeitig klar: „Für mich stand fest, dass ich eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten machen wollte. Durch die intensiven Gespräche mit der TEP-Beraterin war ich gut vorbereitet. Die Unterstützung bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen war besonders hilfreich und auch die Hilfe bei der Suche nach einem Kita-Platz. Ich wollte schnell in eine Ausbildung starten, um meine Sprachkenntnisse und Erfahrungen aus der Einstiegsqualifizierung nicht zu verlieren. Drei Jahre Elternzeit wollte ich auf keinen Fall.“

Allerdings gelang es nicht auf Anhieb, eine Ausbildungsstelle in Teilzeit zu finden. Unterstützt von der TEP-Beraterin  entschied sich Jian Mahmoud, auch eine Ausbildung in Vollzeit in Erwägung zu ziehen und so möglicherweise schneller eine Ausbildungsstelle zu finden. Ihre Suche war erfolgreich und sie bewarb sich auf eine Ausbildungsstelle bei der diabetologischen Schwerpunktpraxis von Dr. Kirana in Lage. „In der Anzeige stand sogar, dass jemand mit Migrationshintergrund gesucht wurde. Das war für mich genau passend.“

Wechsel von Ausbildung in Vollzeit in Teilzeitmodell war problemlos möglich

Im ersten Ausbildungsjahr wurde jedoch schnell klar, dass eine Ausbildung in Vollzeit mit zusätzlichen Lernzeiten, längeren Anfahrtswegen und familiären Anforderungen nicht zu schaffen war. Die Lösung in dieser Situation: die Ausbildung in Teilzeit fortsetzen.
Zusammen mit der Arztpraxis hat die junge Frau dann ein Arbeitszeitmodell ausgehandelt, das für alle Seiten passend ist und, wie ihr Chef sagt, „gut funktioniert“: Die Auszubildende arbeitet nun 30 Stunden die Woche, an zwei Tagen ist sie in der Berufsschule. Der Ausbildungsvertrag wurde mit Zustimmung der Ärztekammer problemlos geändert. Das erste Ausbildungsjahr hat sie inzwischen mit guten Noten abgeschlossen und sie sagt: „Jetzt ist es perfekt!“

„Wir standen vor der Alternative Kündigung oder Ausbildung in Teilzeit. Frau Mahmoud hat viel Potential und wir wollten sie als Auszubildende nicht verlieren. Wir haben uns daher auf das Modell einer verkürzten Arbeitszeit eingelassen. Damit bilden wir das erste Mal in Teilzeit aus und es lässt sich mit unserem Praxisbetrieb gut vereinbaren“, sagt Dr. Stanley Kirana, der seit 2014 die diabetologische Schwerpunktpraxis zusammen mit einem Kollegen im ostwestfälischen Lage betreibt. Insgesamt sind dort 20 Mitarbeitende beschäftigt, darunter drei Auszubildende.

„Frau Mahmoud ist nicht nur sehr lernbereit und engagiert, sie verfügt auch über viel Empathie gegenüber den Patientinnen und Patienten, das kommt gut an“, sagt Dr. Kirana, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie. „Wir schätzen sehr, dass Frau Mahmoud Patientengespräche auch auf Arabisch oder Kurdisch führen und ihren Erfahrungshintergrund einbringen kann.“ Und er ergänzt: „In unserer Praxis geht es multikulturell zu. Insofern war und ist es für uns ein besonderes Anliegen, Ausbildungsplätze insbesondere auch an Menschen mit Migrations- oder auch Fluchthintergrund zu vergeben.“

Skepsis gegenüber Teilzeitausbildung immer noch weit verbreitet – „Wir wollen Vorteile aufzeigen“

Bei der Netzwerk Lippe gGmbH begleitet Melanie Sarah Ullrich das TEP-Förderprogramm. Als TEP-Beraterin unterstützt sie die Ausbildungsplatzsuche der Teilnehmenden, hilft bei der Kontaktaufnahme mit möglichen Betrieben und begleitet darüber hinaus in den ersten Monaten nach Ausbildungsstart.

„In unseren Gesprächen mit Betrieben und Unternehmen stellen wir immer wieder fest, dass eine große Skepsis gegenüber einer Ausbildung in Teilzeit besteht und die Vorteile nicht gesehen werden“, sagt die TEP-Beraterin. „Gerade wenn es um junge Mütter geht, betonen wir ihre besonderen Stärken. Sie sind gut organisiert, arbeiten strukturiert, das zeichnet sie häufig gegenüber anderen Auszubildenden ohne Familien- oder Pflegeaufgaben aus.“

Zitat:
Im Grundsatz verläuft die Ausbildung in Teilzeit wie die Vollzeitausbildung – es wird nur die Ausbildungszeit im Betrieb reduziert.

Um der Skepsis bei Arbeitgebern zuvorzukommen, berichtet die TEP-Beraterin, „sprechen wir inzwischen weniger von Teilzeitberufsausbildung und verweisen lieber auf eine Ausbildung mit verkürzten Arbeitszeiten. Und hier versuchen wir deutlich zu machen, dass die Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb des vorgegebenen Rahmens doch sehr flexibel sind.“
Denn im Grundsatz verläuft die Ausbildung in Teilzeit wie die Vollzeitausbildung – es wird nur die tägliche oder wöchentliche Ausbildungszeit im Betrieb reduziert. Dazu werden individuelle Vereinbarungen getroffen. Meistens liegt die wöchentliche Ausbildungszeit zwischen 20 und 35 Stunden.

Gerade Im medizinisch-pflegerischen Bereich mit den teilweise sehr langen und versetzten Arbeitszeiten, so die TEP-Beraterin, gehe es allerdings nicht ohne Kompromissbereitschaft und erfordere auch von den TEP-Teilnehmenden das Entgegenkommen, zumindest an einem Nachmittag zu arbeiten und dies von der Betreuungsseite sicherzustellen. Auch sei es wichtig, von Anfang an zusätzliche Zeiten für das Lernen von Ausbildungszeiten einzuplanen. „Wenn das vorher nicht klar ist, ist der Praxisschock groß“.
Über die Hälfte der TEP-Teilnehmenden bei Netzwerk Lippe hat einen ausländischen oder Fluchthintergrund und ist, so die TEP-Beraterin, „durchweg hoch engagiert und nimmt die Beratung gerne an.“

So wie im Fall von Jian Mahmoud: „Die junge Frau ist ungeheuer zielstrebig und die Ausbildung schafft sie jetzt super, davor ziehe ich den Hut“, sagt TEP-Beraterin Ullrich. Besonders freut sie, dass der Betrieb hinter ihr steht und sie bei der Ausbildung eben auch in Teilzeit weiterhin unterstützt. „Das ist schon beispielhaft.“