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"Jugendgarantie" – Umsetzung in NRW

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Bessere Zukunftschancen für junge Menschen - verbindliches Versprechen

Lohnhallengespräch zum Thema „Jugendgarantie – Umsetzung in NRW“ - Verbindung zur Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA)

Die Europäische Kommission hat das Jahr „2022“ zum Europäischen Jahr der Jugend ausgerufen. Ziel ist, jungen Menschen bessere Zukunftschancen zu bieten. Eine wichtige Rolle spielt dabei die „Jugendgarantie“. Was genau sie bedeutet und wie die Jugendgarantie in Nordrhein-Westfalen umgesetzt wird, war am 1. Juni 2022 Thema beim ESF-geförderten Lohnhallengespräch „Jugendgarantie – Umsetzung in NRW“.

„Europa braucht das Visionäre, das Engagement und das Mitwirken der gesamten Jugend an einer besseren, umweltfreundlicheren, digitaleren und inklusiveren Zukunft“. So begründete die Europäische Kommission ihre Entscheidung, 2022 zum „Europäischen Jahr der Jugend“ auszurufen und jungen Menschen „bessere Zukunftschancen“ zu bieten.

Eng verknüpft war der Beschluss mit einem bereits bestehenden und später noch mal verstärkten verbindlichen Versprechen: der „Jugendgarantie“. Sie konzentriert sich auf die am schwersten zu erreichenden und am stärksten benachteiligten Jugendlichen. Konkret bedeutet sie: Alle jungen Menschen unter 30 Jahren erhalten ein hochwertiges Angebot für eine Beschäftigung, eine Weiterbildungsmaßnahme, eine Lehrstelle, einen Ausbildungsplatz oder ein Praktikum, und zwar innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre Bildung bzw. Ausbildung abgeschlossen haben.

Wie die „Jugendgarantie“ in Nordrhein-Westfalen umgesetzt wird und wie gut sie zu der längst etablierten Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) passt, zeigte sich bei der Auftaktveranstaltung zum „Sommer der Lohnhallengespräche“ in den Räumlichkeiten der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.) in Bottrop, einer landeseigenen Gesellschaft, die die Landesregierung unter anderem bei Programmen im Bereich der Beschäftigungspolitik und der Beruflichen Bildung unterstützt.

Gleich zu Beginn stellte G.I.B.-Geschäftsführer Karl-Heinz Hagedorn klar, „dass eine fundierte Ausbildung und ein gelungener Übergang in den Beruf das Fundament für eine nachhaltige Integration in den Beruf ist und soziale Teilhabe ermöglicht“. Deshalb sind für ihn Maßnahmen zur Verhinderung eines vorzeitigen Schulabgangs und strukturelle Verbesserungen beim Übergang von der Schule ins Berufsleben von hoher Relevanz.

Dabei übernimmt die G.I.B. eine koordinierende Schlüsselfunktion, so der Geschäftsführer: „Damit lassen sich die Maßnahmen aller beteiligten politischen und gesellschaftlichen Akteure in diesem Handlungsfeld im Interesse der jungen Menschen verknüpfen.“ Gemeint waren mit den Akteuren die anwesenden Gäste, darunter die Fach- und Führungskräfte relevanter Institutionen am Übergang Schule-Beruf und der Beratung von besonders unterstützungsbedürftigen Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. An sie richtete er die zentrale Frage der Auftaktveranstaltung: „Wie können wir allen jungen Menschen eine dauerhafte Beschäftigungsperspektive bieten, die ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht?“

System statt Zufall

Dass Nordrhein-Westfalen die Beantwortung der Frage schon früh in Angriff genommen hat, illustrierte Dr. Jens Stuhldreier, Referatsleiter im MAGS NRW, in seinem anschließenden Vortrag. Er skizzierte zunächst die damalige Ausgangslage, die das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium zum Handeln veranlasst hatte: Die Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem zwischen Schule und Beruf stieg unaufhörlich, dem langjährig gewachsenen Nebeneinander von Maßnahmen, Bildungsgängen, Projekten und Förderlinien mangelte es an Effektivität und Transparenz, die Zahl an Ausbildungs- und Studienabbrüchen war hoch.

Das änderte sich mit dem neuen, „systematischen und nachhaltigen Ansatz, der die Berufliche Orientierung nicht mehr dem Zufall überlässt“: mit der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss – Übergang Schule-Beruf in NRW“, kurz KAoA genannt, die von der G.I.B. fachlich begleitet wird.

Charakteristisch für KAoA, führte Dr. Jens Stuhldreier aus, sind die aufeinander aufbauenden und abgestimmten Elemente von der Berufsorientierung bis zum Eintritt in Ausbildung oder Studium, die transparenten Strukturen und Verantwortungsketten, die auf Dauer angelegten Angebote, die zugleich integrativ, inklusiv und gendergerecht alle Schulformen betreffen und flächendeckend an jedem Ort in Nordrhein-Westfalen gelten.

Der neue und bereits bewährte Ansatz als praktische Umsetzung der Jugendgarantie dient nach Überzeugung des Referatsleiters nicht nur den jungen Menschen, sondern auch den Betrieben mit ihrem stetig steigenden Bedarf an Arbeitskräften: „Heute gibt es mehr Ausbildungsstellen als Bewerberinnen und Bewerber. Fast jedes Unternehmen sieht sich derzeit aufgrund des Arbeitskräftemangels in der geschäftlichen Umsetzung gebremst. Allein im MINT-Bereich fehlen 320.000 Fachkräfte.“ Vor diesem Hintergrund gewinnt KAoA noch einmal an Gewicht.

„Die Umsetzung der Jugendgarantie ist weit fortgeschritten“

Nicht zuletzt mit Blick auf Nordrhein-Westfalen und sein Übergangssystem von der Schule in den Beruf konnte Ralf Buchholz vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in seinem Folge-Vortrag bestätigen, dass „Deutschland bereits bei Einführung der Jugendgarantie über ein umfangreiches arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium verfügte“. Als bespielhaft dafür nannte er die assistierte Ausbildung als dauerhaftes Instrument der Arbeitsförderung, die aktuell 353 Jugendberufsagenturen sowie die Allianz für Aus- und Weiterbildung.

Sein Resümee: „Die Umsetzung der Jugendgarantie in Deutschland ist weit fortgeschritten.“ Aktuell gebe es ein Plus von sieben Prozent bei den Ausbildungsstellen, aber ein Minus von zwei Prozent bei den Bewerberinnen und Bewerbern. Gleichzeitig liege die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland auf einem Rekordtief von 3,8 Prozent – „das ist sowas wie Vollbeschäftigung.“ Gleichwohl, räumte er ein, gebe es Herausforderungen insbesondere in ländlichen Regionen.

Kein Grund also, sich zurückzulehnen, so der Tenor der anschließend von Gaby Holz und Ulrich Schipp von der G.I.B. moderierten Podiumsdiskussion, denn „die Zahl 3,8 Prozent sagt etwas über die Arbeitslosigkeit aus und nicht über den Unterstützungsbedarf“, betonte Ralf Buchholz vom BMAS. Wie groß der ist, unterstrich Dr. Jens Stuhldreier vom MAGS NRW mit dem Zitat eines Presseberichts mit dem Titel „Über 200.000 junge Menschen in Europa sind verschwunden.“ Wohl nicht zuletzt in Folge der Corona-Pandemie, erklärte Kristin Degener, ebenfalls vom MAGS NRW: „In diesem Zeitraum ist der direkte Kontakt zu den Jugendlichen sehr stark verloren gegangen. Viele Jugendliche hatten in den vergangenen beiden Jahren kaum die Möglichkeit, ein Betriebspraktikum zu absolvieren.“

Dörthe Koch, Leiterin der Abteilung „Jugend und Beruf“ in der G.I.B. plädierte mit Blick auf die Weiterentwicklung von Jugendgarantie und KAoA dafür, die Beteiligung der Eltern zu intensivieren, „damit sie den Prozess der Adoleszenz ihrer Kinder noch besser begleiten können“. Eine Anregung, die sofort Zustimmung beim Publikum der Veranstaltung fand. Von dort war der pointierte Satz zu hören: „Berufsorientierung fängt am Esstisch zu Hause an.“ Deshalb sei es wichtig, die Elternbeteiligung und -einbindung zu verstärken, wobei Samina Imam vom Verband Der Paritätische NRW dazu aufrief, „nicht nur über die Jugendlichen zu sprechen, sondern mit ihnen in den Dialog zu treten.“ Im Rahmen des Austausches wurde deutlich, dass insbesondere Instrumente der Einzelfallbegleitung und des Coachings, wie beispielsweise die Berufseinstiegsbegleitung NRW sehr hilfreich sind, um die Zielgruppe der jungen Menschen mit Unterstützungsbedarf zu erreichen und beim Übergang in Anschlüsse. Dies umso mehr, da die Berufseinstiegsbegleitung NRW nachhaltig wirkt und eine Betreuungszeit von 18 Monaten auch nach der Schulzeit umfasst. Ein Förderangebot, welches sich viele Gäste des Lohnhallengespräches auch für die Zukunft wünschen.

Blick in die Praxis in NRW

Wie das gelingt, zeigten die innovativen Beispiele guter Praxis aus Nordrhein-Westfalen. So etwa die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit in der Jugendberufsagentur der Stadt Essen als zentraler Anlaufstelle für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie ist aktuell an 57 Schulen der Stadt aktiv. Agnes Hugo von der Kommunalen Koordinierungsstelle KAoA sowie Michael Hügens von der Agentur für Arbeit und Christina Grodotzki vom Jugendamt der Stadt beschrieben, wie sie es schaffen, „alle jungen Menschen aus Essen beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt bestmöglich und aus einer Hand im Sinne eines One-Stop-Governments zu unterstützen.“

Ein Praxisbeispiel aus einem mittelständischen Betrieb lieferte die „Siegenia Gruppe“ aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein. Nina Herter, Ausbildungsleiterin des Unternehmens, berichtete, dass ihr Unternehmen fünfzig Prozent ihrer Auszubildenden aus der Zielgruppe junger Menschen rekrutiert, die zuvor eine Ausbildung oder ihr Studium abgebrochen haben: „Nicht die Schulnoten, sondern die Motivation der Kandidatinnen und Kandidaten stehen für uns im Fokus.“ Wie umfassend sich das Unternehmen bei der Integration junger Menschen in Ausbildung und Beschäftigung engagiert, verdeutlichte Abdulkarim Abu Abed, der nach seiner Flucht aus Syrien mittlerweile als Werkstudent bei Siegenia beschäftigt ist.

Welche zweckdienliche Rolle private Stiftungen im Übergangssystem spielen, erläuterte Schewa van Uden vom Kommunalen Integrationszentrum der Stadt Duisburg. Sie ist zugleich Projektleiterin des Aletta Haniel Programms in der Stadt. Das berufsvorbereitende Bildungsprojekt der Haniel-Stiftung begleitet Schülerinnen und Schüler einer Gesamtschule in einem intensiven, dreijährigen Prozess von der 8. Klasse bis zu ihrem Abschluss in der 10. Klasse sowie bei der der Gestaltung des Übergangs in einen Ausbildungsplatz oder in weiterführende Schulen.

Nachhaltiges Chancenverbesserungssystem

So notwendig und nützlich die Unterstützungsmaßnahmen im Übergangssystem auch sind, „wir können den jungen Menschen nichts aufzwingen“, bekräftigte G.I.B.-Geschäftsführer Karl-Heinz Hagedorn in seinem Schlusswort. Darin stimmte er mit Dr. Jens Stuhldreier vom MAGS NRW überein, der empfahl, die berufliche Orientierung als ein „biografisches Langzeitprojekt“ zu betrachten: „Es gilt, die Attraktivität der dualen Ausbildung weiter zu stärken und Unternehmen zusätzliche Wege zur Sicherung ihres Fachkräftebedarfs zu eröffnen. Durch die Positionierung als Chancenverbesserungssystem in der beruflichen Bildung erfährt das Übergangssystem eine Aufwertung als sinnvoller Zwischenschritt in die Berufsausbildung junger Menschen."