
"Mit meiner Arbeitspolitik will ich die Menschen in Nordrhein-Westfalen so direkt wie möglich erreichen"
Arbeitsminister Karl-Josef Laumann über Ziele, Vorhaben und Angebote der nordrhein-westfälischen Arbeitspolitik. Kurzfassung des Interviews aus dem aktuellen G.I.B.info
Wie lässt sich eine doch eher allgemeine Grundanschauung wie die christliche Soziallehre in konkrete Landesarbeitspolitik umsetzen – zum Beispiel, ganz konkret, im Bereich der Berufsausbildung? Viele junge Menschen finden einfach keinen Ausbildungsplatz.
Nach meinem Menschenbild muss man manche jungen Leute, die aufgrund persönlicher, familiärer oder sonstiger sozialer Probleme heute keinen Ausbildungsplatz finden, ein Stück weit an die Hand nehmen – aber nicht, um sie in Projekte abzuschieben, sondern um sie in eine Lehrstelle zu bringen, bei der am Ende auch ein Gesellenbrief rauskommt. Das heißt: Wir geben den jungen Menschen eine Chance, durch Bildung und Berufsabschlüsse an der Gesellschaft überhaupt teilzuhaben.
Es ist ja so: In Nordrhein-Westfalen gibt es große regionale Unterschiede. Während in Großstädten wie Bonn, Düsseldorf oder Köln sowie im Münsterland sogar ein Überangebot an Ausbildungsstellen zu verzeichnen ist, treffen Jugendliche im Ruhrgebiet oder in Teilen von Ostwestfalen auf ein Angebot, dass deutlich unter der Nachfrage liegt.
Deswegen wird die Landesregierung in den Jahren 2018 und 2019 ein "Regionenprogramm Ausbildung" im Umfang von jährlich bis zu 1.000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen auflegen. Das Programm wird von den Partnern im Ausbildungskonsens NRW unterstützt und gemeinsam mit der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit umgesetzt. (...)
Bei den Förderprogrammen für junge Menschen ohne Ausbildungsreife und mit Benachteiligungen wird es Veränderungen geben. Das Programm Jugend in Arbeit plus läuft Ende 2018 aus und das Programm Produktionsschule.NRW wird zukünftig zum Werkstattjahr umgewandelt. Was sind Ihre Beweggründe für und Erwartungen an diese Veränderungen?
Wir haben zur Produktionsschule.NRW viele Anregungen aus der Praxis erhalten. Mir ist zum Beispiel berichtet worden, dass der Zuschnitt der Zielgruppe nicht optimal sei, dass es keine Möglichkeiten gebe, gute Leistungen und damit die Motivation der Teilnehmer zu honorieren oder dass es an Betriebsnähe fehle.
Darum soll das Werkstattjahr zur Qualifizierung von noch nicht ausbildungsreifen Jugendlichen in neuer Form wieder eingeführt werden. Wir bringen dabei die guten Elemente der Produktionsschule mit den guten Elementen des ehemaligen Werkstattjahres NRW zusammen. Das Werkstattjahr als Instrument des Übergangs von der Schule in Ausbildung bzw. Beruf ist für Jugendliche im Alter von bis zu 19 Jahren gedacht. Wir werden die betrieblichen Praxisphasen auf bis zu sechs Monate erhöhen. Damit sind die Jugendlichen deutlich näher am Betrieb. Auch können wir im Werkstattjahr gute Leistungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer Leistungsprämie honorieren, um den Jugendlichen den Zusammenhang zwischen Leistungsbereitschaft und beruflichem Erfolg zu vermitteln.
Das Programm Jugend in Arbeit plus hat jungen Menschen mit schwierigen Startbedingungen den Weg in Beschäftigung geebnet. Wir wissen aber, dass sich die Fachkräftelücke vor allem bei den Ausbildungsberufen auftun wird. Als Minister habe ich die Verantwortung, die begrenzten finanziellen Mittel wirkungsvoll und nachhaltig einzusetzen. Deshalb lege ich den Schwerpunkt darauf, möglichst vielen Menschen eine Berufsausbildung zu ermöglichen.
Die Landesinitiative "Kein Abschluss ohne Anschluss – Übergang Schule – Beruf (KAoA)" soll, so sieht es der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung vor, praxistauglicher werden. Was ist darunter zu verstehen?
Zunächst einmal gibt es die klare Zusage: Wir führen die Initiative "Kein Abschluss ohne Anschluss" fort. KAoA ist in der Fläche gut angekommen und viele Elemente haben sich bewährt. Doch auch hier wollen wir die Rückmeldungen aus der Praxis berücksichtigen. Wir wollen für ein passgenaueres Angebot sorgen, vor allem für Schülerinnen und Schüler mit einem individuellen Unterstützungsbedarf.
Wir wollen allen Jugendlichen Einblicke in die reale Arbeits- und Berufswelt ermöglichen. Potenziale und Talente besser fördern, damit der Übergang in den Beruf tatsächlich gelingt: Das muss das Ziel beruflicher Orientierung sein.
Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland geht an vielen Langzeitarbeitslosen vorbei. Welche Rolle kann öffentlich geförderte Beschäftigung zur Integration von Langzeitarbeitslosen spielen und welche Bedeutung kommt dabei dem Passiv-Aktiv-Transfer zu?
Öffentlich geförderte Beschäftigung kann einen wichtigen Beitrag zur Integration von Langzeitarbeitslosen leisten. Damit fördern und schaffen wir Beschäftigung für Menschen, die ansonsten kaum noch Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Aus Arbeitslosen machen wir damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einer geregelten Beschäftigung nachgehen und soziale Teilhabe erfahren können. Bisher leisten gemeinnützige Beschäftigungsunternehmen als Arbeitgeber einen wichtigen Beitrag bei der Umsetzung der Programme. Wenn es uns jetzt noch gelingt, verstärkt Arbeitgeber der Privatwirtschaft einzubinden, könnten wir die Arbeitsmarktnähe weiter erhöhen und die Übergangschancen verbessern.
Klar ist aber auch: Hier sind noch einige dicke Bretter zu bohren. Und öffentlich geförderte Beschäftigung ist ein ressourcenintensives Instrument – gerade im Hinblick auf die Budgets der Jobcenter. Daher ist der Passiv-Aktiv-Transfer ein ganz wichtiger Hebel, um mehr Geld in das System zu bringen.
Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist eine Herausforderung für Unternehmen und Beschäftigte. Wo sehen Sie die Risiken und wie bewerten Sie die Chancen der Digitalisierung?
(...) Die Digitalisierung ist ein Prozess, den wir aktiv gestalten müssen. Dabei müssen wir die Beschäftigten von vornherein einbeziehen. Natürlich gibt es Risiken, wie den Abbau von Arbeitsplätzen oder die Verdichtung von Arbeit. Da müssen wir aufpassen. Aber wir müssen vor allem auch die Chancen sehen, die die Digitalisierung bietet – zum Beispiel mehr Selbstbestimmung der Beschäftigten bei der Wahl ihrer Arbeitszeiten und des Arbeitsortes.
Die entscheidende Frage ist: Wollen wir alles technisch Mögliche umsetzen oder wollen wir die Digitalisierung zur menschengerechten Gestaltung der Arbeitswelt nutzen? Ich bin ganz klar für Letzteres.
Wie wird Ihr Haus die Bewältigung dieser Herausforderung unterstützen?
Wir setzen unter anderem einen großen Teil der uns zur Verfügung stehenden Mittel des Europäischen Sozialfonds ein. Zum Beispiel fördern wir Modellprojekte wie das Gewerkschaftsprojekt "Arbeit 2020". Vor allem aber werden wir stark in die Weiterbildung der Beschäftigten investieren.
Wir erhöhen das Budget für den Bildungsscheck deutlich und sorgen dafür, dass er von mehr Menschen genutzt werden kann als bisher – gerade im Hinblick auf die Digitalisierung. In meinen Augen ist Qualifizierung ein ganz entscheidender Schlüssel, damit sich die Menschen den Veränderungen in der digitalisierten Arbeitswelt gewachsen fühlen.
Die Landesarbeitspolitik setzt nun seit fast 30 Jahren auf regionalisierte Strukturen. Welche Bedeutung hat für Sie dieser Ansatz?
Mit meiner Arbeitspolitik möchte ich die Menschen im Land, die Unterstützung bei ihrem Weg in Arbeit oder Ausbildung benötigen, so direkt wie möglich erreichen. Die erfolgreiche Umsetzung von Programmen lässt sich – im Übrigen aus guten Gründen – aber nicht einfach zentralistisch anordnen.
Wir brauchen die regionalen Kammern, um die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt zu lösen. Genauso müssen die Betriebe und die Beschäftigten ganz konkret vor Ort erfahren und überzeugt werden, dass sie von Weiterbildungsangeboten profitieren können. Beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit ist darüber hinaus zu schauen, wie die Arbeit der SGB II-Träger flankiert werden kann.
Kurz: Ohne die aktive Mitwirkung unserer Partner in den Regionen ist Landesarbeitspolitik nicht umsetzbar.