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Foto: Katja Köhler, Bilyana Ignatova, Christian Menz und Nadine Schöpper von der Technologieberatungsstelle (TBS NRW)

Service-Hotline Zeitarbeit - faire Arbeit in Nordrhein-Westfalen stärken

Fachveranstaltung der TBS NRW zu 10 Jahre Service-Hotline Zeitarbeit, Arbeitsminister Karl-Josef Laumann und die Vorsitzende DGB NRW, Anja Weber, nahmen teil

Die Service-Hotline Zeitarbeit, gefördert aus ESF-Mitteln, wurde 2008 gemeinsam vom Arbeitsministerium und dem DGB NRW gestartet. Die Hotline unterstützt Betroffene und Arbeitnehmervertreter bei der Durchsetzung fairer Arbeitsbedingungen. Arbeitsminister Karl-Josef Laumann würdigte auf einer Fachveranstaltung zum 10-jährigen Jubiläum die Erfolge und machte deutlich: Die Beratungsstrukturen für faire Arbeit in Nordrhein-Westfalen werden ausgebaut.

Reformen in der Zeitarbeit - ist der Missbrauch eingedämmt? Fachveranstaltung fragt nach

Seit dem Jahr 2008 hilft die Service-Hotline Zeitarbeit und Werkvertrag, prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Nordrhein-Westfalen einzudämmen und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern. Getragen wird das aus ESF- und Landesmitteln geförderte Projekt von der Technologieberatungsstelle beim DGB NRW (TBS NRW). Bei einer von der Service-Hotline organisierten Veranstaltung am 13. November 2018 in Düsseldorf standen die Erfolge der Hotline sowie die Auswirkungen des novellierten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im Mittelpunkt.

Gleich nach der Begrüßung durch Dr. Jürgen Grumbach, Geschäftsführer TBS NRW, erinnerte Minister Karl-Josef Laumann bei der Veranstaltung in Düsseldorf an die Gründungsphase der Hotline. Mit der Deregulierung des Arbeitsmarkts war die Zeitarbeit damals stark im Aufwind. Bundesweit gab es über 700.000 Zeitarbeitskräfte und damit mehr als doppelt so viele wie noch wenige Jahre zuvor. „Doch Zeitarbeit“, so der Minister, „wurde vor allem eingesetzt, um Tarifverträge zu umgehen und einen Mindestlohn gab es damals noch nicht. Klar war: Gewerkschaften und Landesregierung müssen gemeinsam Strategien entwickeln, um für faire Arbeit zu sorgen.“

Vor diesem Hintergrund stellte er in seiner ersten Amtszeit die Weichen für die Service-Hotline Zeitarbeit und Werkvertrag. Seit zehn Jahren unterstützt sie nun Leiharbeitskräfte, Arbeitsuchende, Betriebs- und Personalräte sowie Arbeitsvermittlerinnen und -vermittler bei der Wahrnehmung bestehender Rechte und der Durchsetzung fairer Arbeitsbedingungen.

Auch wenn sich seitdem vieles zum Positiven entwickelt hat: „Es gibt auch eine Schattenseite“, sagte Minister Laumann. Als aktuelles Beispiel dafür nannte er das Transportgewerbe sowie die Fleischindustrie, wo die meisten Arbeiten im Rahmen von Werkverträgen erledigt werden. Der Minister: „Wir wollen wissen, was da läuft! Dazu brauchen wir die Gewerkschaften, weil sie Zugriff haben in die Betriebe.“ Angehen will er zudem „die Verwerfungen, die nach der Grenzöffnung mit dem Einsatz von Menschen aus Mittel- und Osteuropa im Rahmen von Werkverträgen auf Basis der Entsendung entstanden sind. Das mit ESF-Mitteln zu bekämpfen, entspricht exakt ihrem Sinn und Zweck.“

„Sehr entschlossen“ zeigte sich der Minister hinsichtlich des Ausbaus der Beratungsstrukturen für faire Arbeit in Nordrhein-Westfalen. Fest geplant ist zudem „eine große Evaluation“ in 2020. Sie wird vom Bund durchgeführt und soll zeigen, welche Veränderungen die Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) im letzten Jahr gebracht haben, deren Ziel es war, negativen Entwicklungen in der Leiharbeitsbranche entgegenzuwirken.

„Solange es Missbrauch gibt, braucht es Beratung“

„Den negativen Entwicklungen entgegenzuwirken“ ist nach Auffassung von Anja Weber, Vorsitzende DGB NRW, heute genauso nötig wie vor zehn Jahren: „Noch immer sind viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer manchen schlimmen Verhältnissen ohnmächtig ausgeliefert, wird die Würde des Menschen in manchen Betrieben mit Füßen getreten. Doch wenn die Menschen sich organisieren und damit für Solidarität entscheiden, wird aus Ohnmacht Gestaltungsmacht.“

Nicht nur der Arbeitsmarkt insgesamt boomt, gab sie zu bedenken, sondern auch die atypische Beschäftigung, „und das ist eine Gefahr für die Demokratie und ein Riesenproblem für die Beschäftigten“. Die Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes habe Verbesserungen gebracht: „Verbindliche Übernahmeregelungen wurden geschaffen, Drehtüreffekte verhindert und Rechte für Betriebsräte ausgeweitet.“ Dennoch hielt sie die Ergebnisse für „unzureichend“. Ziel müsse vor allem sein, die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte weiter zu verbessern. Außerdem müssten „gleiches Recht und gleiche Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten gelten.“
 
Für die Vorsitzende des DGB NRW steht außer Zweifel: „Solange es Missbrauch gibt, braucht es Beratung, und beispielhaft für gute Beratung steht die Service-Hotline Zeitarbeit und Werkvertrag bei der TBS“.

Licht und Schatten beim neuen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

Nachdem Beraterinnen und Berater von der TBS NRW in Form von „Schlaglichtern“ anschaulich konkrete Erfahrungen aus zehn Jahren Service-Hotline Zeitarbeit und Werkvertrag präsentiert hatten,
befasste sich Christian Iwanowski von der IG Metall Bezirksleitung NRW mit der Frage, ob das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz als „großer Wurf“ oder als „Rohrkrepierer“ zu bezeichnen ist. „Weder noch“ lautete die Antwort, „das AÜG hat von Beidem etwas“.

So zeige die Festlegung einer maximalen Einsatzzeit bei der Leiharbeit durchaus Wirkung, was positiv zu bewerten sei. Zudem habe die Zahl der Übernahmen deutlich zugenommen, wenn auch überwiegend bei den Facharbeitern und nicht im Helferbereich. „Richtig und sinnvoll“ seien zudem das Equal Pay-Gebot sowie die Tatsache, dass bei Scheinwerkverträgen heute konkrete Rechtsfolgen bei nachgewiesener Unwirksamkeit der Verträge festgelegt sind. Für Christian Iwanowski „ein Lichtblick in Sachen Werkverträgen.“

Dennoch sei das AÜG in Bezug auf den Arbeitnehmerschutz „eine Mogelpackung“, so der Gewerkschafter, denn auch wenn das Gesetz eine Begrenzung der Leiharbeit vorsehe, sei die Wirkung gering: „Die übergroße Mehrheit der Leiharbeitskräfte scheidet bereits vor den genannten Zeiten aus den Betrieben aus.“ Außerdem habe sich bei den häufigsten Verstößen nichts verändert. Dazu zählte er unter anderem „eine falsche Eingruppierung insbesondere bei den Helfern, nicht gezahlte oder falsch berechnete Branchenzuschläge sowie die ausbleibende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“. Kurzum: „Beim neuen AÜG gibt es Licht und Schatten.“

Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit

Über „aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit“ informierte anschließend Ilona Mirtschin, Referentin Arbeitsmarktberichterstattung bei der Bundesagentur für Arbeit. Laut ihren Angaben ist die Zahl der Zeitarbeitnehmer - wenn zuletzt auch etwas abgeschwächt - „im langfristigen Vergleich in der Tendenz mit hoher Dynamik gewachsen“. So waren im Jahresdurchschnitt 2017 gut eine Million Zeitarbeitnehmer in Deutschland sozialversicherungspflichtig oder ausschließlich geringfügig beschäftigt. Damit liegt der Anteil der Zeitarbeitnehmer an der Gesamtbeschäftigung bei knapp drei Prozent.

Zeitarbeitnehmer, so Ilona Mirtschin, arbeiten häufiger in Tätigkeiten, die mit einem niedrigen Anforderungsniveau verbunden sind. Mehr als jeder Zweite - bei allen Beschäftigten nur jeder Fünfte - übt eine Helfertätigkeit aus. Personen ohne Berufsabschluss hingegen sind anteilig deutlich häufiger vertreten als bei den Beschäftigten insgesamt. Auch der Ausländeranteil ist in der Zeitarbeit höher. Ein weiterer Befund: „Das Risiko, aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung heraus arbeitslos zu werden, bleibt in der Arbeitnehmerüberlassung weiterhin überdurchschnittlich hoch.“

Das Fazit der Expertin fiel gespalten aus: „Die Nachhaltigkeit von Beschäftigungsaufnahmen in der Zeitarbeit ist niedriger als im Durchschnitt über alle Branchen. Alles in allem liefern die Ergebnisse unserer Auswertung aber Indizien dafür, dass die Eingliederung von Arbeitslosen in das Beschäftigungssystem über die Arbeitnehmerüberlassung besser gelingt, als es die kurzen Beschäftigungsdauern bei Verleihunternehmen auf den ersten Blick nahelegen.“

Ausbau der Beratungsstrukturen

Nach intensiven Diskussionen in drei Arbeitsgruppen zu den Themen „Betriebsvereinbarung Leiharbeit“, „Werkverträge“ und „Equal Pay“ folgte eine von Dr. Jürgen Grumbach moderierte Podiumsdiskussion über zukünftige „Herausforderungen und Lösungswege“.

Werner Stolz, Hauptgeschäftsführer beim Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) sah Zeitarbeit auch in Zukunft als „eine enorme Chance für Arbeitsuchende, wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen.“ Fast zwei Drittel aller neu eingestellten Zeitarbeitskräfte seien zuvor arbeitslos gewesen. Zudem liege die Übernahmequote derzeit bei rund 35 Prozent: „Damit leistet keine andere Branche so viel Arbeitsmarktintegration wie die Zeitarbeit“. Eine Einschätzung, die er  mit Mark Albien vom Verband Werteverpflichteter Personaldienstleister (VWPD) teilte.

Weitaus kritischer fielen die Stellungnahmen der Gewerkschafter aus. Armin Wiese, Geschäftsführer NGG Region OWL, wies darauf hin, dass Rechts- und Tarifverstöße in der Zeitarbeit nach wie vor an der Tagesordnung sind, und nach Ansicht von Michael Hermund, Abteilungsleiter Arbeitsmarktpolitik DGB NRW, „muss das Thema Qualifizierung in der Zeitarbeit viel stärker in den Fokus rücken, um mehr langzeitarbeitslose Menschen und gering Qualifizierte nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.“

An der Stelle konnte Wilhelm Oberste-Beulmann, Vizepräsident beim Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. (BAP), auf ein in seinem Verband entwickeltes Drei-Stufen-Modell der Qualifizierung verweisen, das für Maschinen-  und Anlagenführung, Dialogmarketing und Fachlageristik niederschwellige e-learning-Angebote vorsieht - „inklusive Zertifikaten und mit dem Ziel des Erwerbs eines Facharbeiterbriefs bei der IHK.“

Abschließend stellte Christina Ramb, Leiterin der Abteilung „Arbeit und Qualifizierung“ im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW, klar, dass die Politik „schwarzen Schafen“ unter den Zeitarbeitsunternehmen „auf die Finger sehen und auf verschiedenen Ebenen gegen Missbrauch vorgehen wird.“ Des Weiteren betonte sie wie zuvor der Minister die geplante Weiterentwicklung der Beratungsstrukturen und erhoffte sich beim Thema „Qualifizierung“ weitere „gute Gespräche mit den Anwesenden".

So differenziert die Einschätzungen der Beteiligten in vielen Sachfragen waren – in Bezug auf die Bewertung der Hotline Zeitarbeit und Werkvertrag fiel das Urteil einstimmig aus: „Hervorragend gut!“