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Beratungsstelle Mönchengladbach (BSA) - Arbeitsausbeutung bekämpfen

Mann und Frau vor dem Zaun

BSA Mönchengladbach - Arbeitsausbeutung bekämpfen ist ein Beitrag zur Fachkräftesicherung

Die Beratungsstellen Arbeit (BSA) werden aus Mitteln de Europäischen Union und des Landes gefördert

Seit 2021 ist die Beratung von Menschen, die von Arbeitsausbeutung betroffen sind, ein Schwerpunkt der mit Landes- und ESF-Mitteln geförderten „Beratungsstellen Arbeit“ in Nordrhein-Westfalen. Die Beratungsstelle Arbeit in Mönchengladbach hat sich im Kampf gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse auf die Logistik konzentriert, der heute dominierenden Branche in der Stadt. 

Beratungsstelle Arbeit (BSA) in Mönchengladbach - umfassendes Beratungsangebot

„Ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gehören noch immer zu den großen Tabuthemen in unserer Gesellschaft“, meint Karl Sasserath. „Wenn wir in diesem Jahr den 300. Geburtstag des großen Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant feiern, wird es höchste Zeit, dass wir auch über Arbeitsausbeutung aufklären und sie bekämpfen.“

Karl Sasserath weiß, wovon er spricht. Der Diplom-Sozialarbeiter ist Mitarbeiter der beim Arbeitslosenzentrum Mönchengladbach angesiedelten Beratungsstelle Arbeit (BSA) und befasst sich seit Jahrzehnten mit den Themen prekäre Beschäftigung und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. 

Umso mehr weiß er die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Arbeitsministeriums zu schätzen, den Kampf gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu einem Schwerpunkt der BSA zu machen. Nach skandalösen Fällen ausbeuterischer Beschäftigung in der Fleischindustrie hatte Arbeitsminister Karl-Josef Laumann gesagt, dass Arbeitsausbeutung und prekäre Beschäftigung auch in anderen Branchen zu finden sind. Deshalb sei der Aufbau eines flächendeckenden Beratungsnetzwerks ein wichtiger Schritt.

Hotspot Logistikbranche

Merkmale arbeitsausbeuterischer Beschäftigungsverhältnisse sind das Umgehen vorgeschriebener gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen, zum Beispiel durch das Unterlaufen des gesetzlichen Mindestlohns, Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz oder fehlende Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

„Zum Zeitpunkt der Entscheidung des MAGS NRW, Arbeitsausbeutung zu einem Schwerpunkt der Beratungsstellen Arbeit zu machen, war uns aufgrund unserer Erfahrungen längst klar, wo ausbeuterische Arbeitsverhältnisse am ehesten zu finden sind. Entsprechend galt es jetzt, insbesondere die Logistik-Branche in den Blick zu nehmen.“ Sie war in Mönchengladbach „Motor der Transformation eines vormals altindustriellen Standorts, der auf der Monostruktur der Textil- und Bekleidungsindustrie beruhte.“ Damit hat sich die Stadt zu einem „Hotspot der Logistik in Deutschland“ entwickelt, in dem gegenwärtig rund 20.000 Menschen arbeiten, davon sind der überwiegende Teil Menschen mit Migrationshintergrund.

„Die Beschäftigten werden ganz gezielt aus diesem Personenkreis rekrutiert“, so Karl Sasserath, „denn die Logistikbranche stellt keine sprachlichen Anforderungen. Wer hier arbeiten will, muss über formale Qualifikationen wie die Fahrerlaubnis hinaus nur gesund, beweglich und sehr belastungsfähig sein.“ In diesem Wirtschaftsbereich gibt es nach seiner Einschätzung kaum betriebliche Interessenvertretung und Menschen nehmen ihre Arbeitsrechte schon deswegen nicht wahr, weil sie sie nicht kennen. „Da werden ganze Personengruppen über eine polnische oder litauische Vermittlungsagentur in der Ukraine, Kirgisien, Aserbeidschan oder Turkmenistan akquiriert und mit Visa nach Deutschland verpflanzt. Hier leben sie dann sprachunkundig und isoliert in ihrer eigenen Blase.“

Um sich ein genaueres Bild von den Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen zu verschaffen, haben sich die BSA und ihre Kooperationspartner in deren unmittelbarem Lebensraum umgeschaut. Karl Sasserath: „Wir haben also die Komm-Struktur unserer bis dahin stationären Einrichtung um eine Gehstruktur ergänzt, besuchen also – mitunter gemeinsam mit unseren Netzwerkpartnern - die von Arbeitsausbeutung betroffenen oder bedrohten Menschen direkt vor Ort.“ 

Konkret galt das etwa für ein riesiges Amazon-Lager, „das modernste in ganz Deutschland, allerdings ohne jegliche Infrastruktur wie Sanitäranlagen oder Ruheräumen für LKW-Fahrerinnen und -fahrer“, so Karl Sasserath. Hier kampierten sie am Wochenende in ihren Führerhäuschen auf den unbewachten Parkstreifen. Nicht selten wurden sie überfallen und ausgeraubt: „Das war die Realität!“

Besonders schlimm waren die Zustände während der Corona-Pandemie: „Hier gab es nur Dixie-Klos und in Gesprächen mit einem Krankenhausdirektor habe ich erfahren, dass die Orte mit der höchsten Infektionswahrscheinlichkeit Toiletten waren. Auf diesen Parkstreifen lebten die Menschen oft monatelang aufgrund fehlender Sprachkenntnisse meist völlig isoliert.“

Beispielhafte Erfolge

In Kontakt konnte die BSA mit ihnen kommen, weil BSA-Mitarbeiterin Mariya Kaplunovska neben Englisch und Deutsch auch Ukrainisch und Russisch spricht. So gelang es, überhaupt erst mal Vertrauen aufzubauen. Im nächsten Schritt ließ sich die BSA die Arbeitsverträge der von ihnen aufgesuchten Personen zeigen, prüfte sie auf Rechtmäßigkeit und informierte über Arbeitsrechte in Deutschland. Feststellen konnte sie dabei, dass oft der Mindestlohn nicht gezahlt wurde, Überstunden und Akkordarbeit unbezahlt blieben, Urlaub nicht gewährt wurde und nicht erlaubte mehrfache Schichtwechsel binnen kürzester Zeit zum Arbeitsalltag gehörten.

Die BSA handelte sofort: „Wir haben den Oberbürgermeister und die politischen Parteien angeschrieben, über die Zustände vor Ort informiert und zugleich die Polizei eingeschaltet.“ Aktivitäten mit durchschlagendem Erfolg. Der wichtigste: Mit einer städtischen Entwicklungsgesellschaft wurde bei Amazon ein bewachter Parkplatz gebaut, zusätzlich Sanitäranlagen und ein Aufenthaltsraum. „Zwar müssen die Nutzerinnen und Nutzer fünf Euro für jede Übernachtung zahlen, aber das ist relativ günstig und gibt es meines Wissens in der Form nirgendwo sonst in Deutschland.“

Damit nicht genug. In Fällen nicht gezahlter Mindestlöhne informierte die BSA die Betroffenen über ihre arbeitsrechtlichen Möglichkeiten zur Gegenwehr. Manche nutzten ihre Rechte und klagten den Mindestlohn ein. Aufgrund des großen Erfolgs wurde die aufsuchende Aktion an einem zweiten bedeutenden Logistikstandort in Mönchengladbach wiederholt.

Erweitertes Netzwerk

Aktuell geht es der BSA vor allem darum, ihr Netzwerk im Kampf gegen Arbeitsausbeutung zu erweitern. Das bewährte „Bündnis Fair fahren“ ist natürlich weiterhin dabei, ein Zusammenschluss der BSA, der Stiftung Volksverein, der Betriebsseelsorge Mönchengladbach, des DGB Stadtverbands Mönchengladbach, der Beratungsnetzwerke „Faire Mobilität“ und „Faire Integration“ sowie des landesgeförderten Projekts „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ als Teil des Beratungsnetzwerkes „Gute Arbeit“ von Arbeit und Leben und des ver.di Bezirks Linker Niederrhein. Ergänzend dazu wurde ein zweites Netzwerk aufgebaut, das mit dem ersten bei Bedarf punktuell kooperiert. Zu ihm gehören unter anderen das Jobcenter, die Ausländerbehörde und das Kommunale Integrationszentrum sowie die Polizei, das Landeskriminalamt und die Opferbeauftragte des Zolls– ein schlagkräftiges Netzwerk, federführend koordiniert und moderiert von der BSA.

Welchen Vorteil hat die enge und kontinuierliche Kooperation? Für Karl Sasserath ist die Antwort klar: „Wir kennen uns jetzt persönlich! Das beschleunigt die Informationsbeschaffung genauso wie die Reaktionsmöglichkeiten, die so zudem vielfältiger und wirkungsvoller sind. Gemeinsam handeln wir in dem Dreischritt „Sehen, Urteilen, Handeln“. Mit uns gibt es im kommunalen Sozialraum jetzt eine effektive, ortsnahe Anlaufstelle, die gemeinsam mit den Kooperationspartnern den Kampf gegen Arbeitsausbeutung übernimmt.“

Äußerst hilfreich ist dabei nach seiner Überzeugung die fachliche Begleitung durch die Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.). Sie unterstützt das Netzwerk unter anderem mit Schulungen und Fortbildungen etwa zu den Themen Zeitarbeit, Arbeitsausbeutung erkennen oder Grundlagen des Arbeitsrechts: „Die Begleitung durch die G.I.B. ist einzigartig, weil sie bei uns einen fachlichen Standard erzeugt, der uns hilft, die Herausforderungen in diesem Handlungsfeld zu meistern. Das ist eine beispielhafte Unterstützungsstruktur, die es sonst nirgendwo in Deutschland gibt, nur in NRW.“

Der Arbeitsmarktexperte empfiehlt, den Kampf gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse nicht isoliert zu betrachten: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute ihre Arbeit wegen unerträglicher Zustände nicht einfach hinwerfen. Zugleich müssen wir sie qualifizieren und ihre Ressourcen erschließen, ihre Potenziale heben.“ Insofern ist der Kampf gegen Arbeitsausbeutung und für faire Arbeitsbedingungen nach seiner Ansicht immer auch ein Beitrag zur Fachkräftesicherung.