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Mit der Aktion 100 zum Kaufmann im Gesundheitswesen

Mann sitzt mit einer Armauflage am Computertisch

Mit der Aktion 100 zum Kaufmann im Gesundheitswesen - mit Ausbilderschein

EU-geförderte Aktion "100 zusätzliche Ausbildungsplätze für Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen" – Praxisbeispiel beim Berufsbildungswerk Bethel

Seit der Operation zur Entfernung eines Gehirntumors ist Dominik Tange körperbehindert. Nach dem Erwerb der Fachhochschulreife fand er aufgrund seiner Körperbehinderung lange Zeit keinen Arbeitgeber, der sich in der Lage sah, ihm einen Ausbildungsplatz anzubieten. Erst mit Hilfe der Aktion 100 ist das gelungen. Heute ist er Kaufmann im Gesundheitswesen und hat einen unbefristeten Arbeitsplatz.

Ausbildung zum Kaufmann im Gesundheitswesen: „Das Berufsfeld hat mich fasziniert, auch weil ich selbst Betroffener war.“

Im Alter von nur neun Jahren konnte Dominik Tange irgendwann seine linke Körperseite nicht mehr bewegen. Aufwändige neurologische und radiologische Untersuchungen sollten Aufschluss geben über die Ursachen der plötzlichen Dysfunktion. Die Diagnose: Hirntumor. Die Therapie: Sofortige Operation. Die Folgen: Dauerhafte linksseitige spastische Lähmung mit extremen Bewegungseinschränkungen von linker Hand und linkem Bein sowie eine Hemianopsie, also ein halbseitiger Gesichtsfeldausfall mit starker Einschränkung des Sehfelds.

Für ihn wie auch für seine Familie ein Schock. Seine Mutter, erzählt er, war verzweifelt und fragte: „Was kann ich machen? Wer kann meinem Kind helfen?“ Mit Unterstützung eines Integrationshelfers bis zur elften Klasse erwarb er später die Fachhochschulreife an einem Wirtschaftsgymnasium. Nach einem Praktikum entschied er sich für eine Ausbildung zum Kaufmann im Gesundheitswesen: „Das Berufsfeld hat mich fasziniert, aufgrund meiner Praxiserfahrungen, vor allem aber, weil ich selbst Betroffener war.“

Flexibler Ausbildungsplan

Noch während seiner Schulzeit setzte sich Dominik Tange mit der Arbeitsagentur in Verbindung, „um Möglichkeiten auszuloten, wie es für mich nach der Schule weitergehen könnte.“ Die Agentur informierte ihn über die Aktion 100, leitete ihn weiter an das Berufsbildungswerk Bethel. Zuständig für ihn war hier Jörg Viemann. In vielen intensiven Gesprächen lernte er Dominik Tange genauer kennen. Hier begann eine umfassende Bewerbungsaktion. „Das Schwierige war“, so Jörg Viemann, „dass wir trotz intensiver Suche, keinen Betrieb in Bielefeld finden konnten, der bereit war, einen Menschen mit diesem Behinderungsbild zum Kaufmann im Gesundheitswesen auszubilden. Angesichts des Fachkräftenachwuchsmangels war das nicht klug, denn uns war klar: Dominik Tange kann das!“

Letztlich konnte Jörg Viemann im Stiftungsverbund der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, diesen Ausbildungsplatz akquirieren. Hier konnte Dominik Tange seine Ausbildung beginnen. In den ersten drei Monaten hatte er eine Arbeitsassistenz an seiner Seite. Doch kaum hatte er sich mit den Hilfsmitteln arrangiert, kam er ganz allein klar.

Wie alle kaufmännischen Auszubildenden musste auch Dominik Tange alle verschiedenen Abteilungen durchlaufen, doch Jörg Viemann setzte sich dafür ein, den Ablauf zu flexibilisieren. Erster Einsatz war das Sekretariat der „Schule für Ergotherapie“ - aus gutem Grund: „Die dort tätigen Ergotherapeuten konnten immer mal wieder einen Blick auf Dominik Tange werfen, ihn unterstützen und seine Fortschritte bewerten.“ Die gab es zur Genüge, sodass er anschließend ganz regulär, mit den dort vorgeschlagenen Hilfsmitteln, alle weiteren Abteilungen durchlief.

Passgenaue Hilfsmittel

Das funktionierte, weil das Berufsbildungswerk Bethel die speziellen Hilfsmittel für Dominik Tange organisiert hatte. Dazu zählen unter anderem eine ergonomische Einhandtastatur für Menschen mit körperlicher Behinderung, eine Vertikalmaus zur präzisen Navigation bei der Bildschirmarbeit, zwei Bildschirm-Schwenkarme, ein höhenverstellbarer Schreibtisch, ein Brett mit Anschlagwinkel um Papiere mit einer Hand übereinander legen zu können sowie eine Armauflage mit rutschfester Unterlage. Letztere angefertigt in Bethel-eigenen Werkstätten. Jörg Viemann: „Das beschleunigt die Arbeitsprozesse und nutzt also auch dem Betrieb.“

Mit Einverständnis der IHK konnte die wöchentliche Arbeitszeit auf 75 Prozent reduziert werden, weil“ – so Jörg Viemann – „sich behinderungsbedingt am Nachmittag mitunter Konzentrationsschwächen zeigten.“ Die qualitative Leistungsfähigkeit blieb davon unberührt, wie nicht zuletzt die mit guten Noten bestandene Abschlussprüfung beweist.

Unbefristeter Arbeitsvertrag

Gegen Ende der Ausbildung standen Integrationspraktika zur Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt an. Zudem hatte sich Jörg Viemann dafür eingesetzt, dass bei der Prüfung dem Auszubildenden ein Nachteilsausgleich zugesprochen wurde. Gleich anschließend bekam er mit Unterstützung des technischen Dienstes der Agentur für Arbeit, der eine Kuvertiermaschine bewilligte, in dessen Folge einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei der Pflege- und Betreuungsdienste Bethel gGmbH. Hier arbeitet er in der Patientenbuchhaltung und ist zugleich in der Schwerbehindertenvertretung aktiv.

Damit nicht genug. Noch während seiner Ausbildungszeit hatte Dominik Tange neben dem Berufsschulunterricht an einem Freiwilligen-Kurs der IHK teilgenommen und den Ausbilderschein erworben. Davon wusste auch Jörg Viemann vom Berufsbildungswerk, der gerade einen anderen Jugendlichen betreute, der schon zweimal durch die Abschlussprüfung gefallen war. Also bat er Dominik Tange, den Jugendlichen fachlich zu unterstützen. Offensichtlich hatte Dominik Tange sowohl in der Ausbildung wie auch beim Erwerb des Ausbilderscheins gut aufgepasst, denn ihm gelang es, den Jugendlichen sicher durch die dritte Prüfung zu bringen. Jörg Viemann: „Er konnte perfekt sein Wissen weitergeben und die Situation des Lernenden nachempfinden. Das zeigt, dass auch im Rahmen der Aktion 100 eine Peergroup-Beratung erfolgreich stattfinden kann.