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Chance Zukunft – Vom Modell zur Praxis. Junge Menschen (re-)integrieren

Titellbild: Modelprojekt "Chance Zukunft"

"Wir können es uns nicht leisten, junge Menschen aufzugeben." Modellprojekte geben Orientierung und ermöglichen Zukunftschancen

Transferveranstaltung zu den ESF-geförderten Modellprojekten "Chance Zukunft" und "BergAuf!" am 07.12.2018 in Bochum

Es gibt sie, die jungen Menschen, die aus dem System gefallen und für Hilfeangebote kaum noch erreichbar sind. Die Abschlussveranstaltung zu den ESF-geförderten Modellprojekten "Chance Zukunft" und "BergAuf!" zeigte, wie entkoppelte junge Menschen erfolgreich begleitet und zur Teilhabe befähigt werden können. Das NRW-Arbeitsministerium warb für den Transfer in die Praxis. Denn: "Wir können es uns nicht leisten, junge Menschen aufzugeben."

Entkoppelte junge Menschen erfolgreich begleiten - Transferveranstaltung zu den ESF-geförderten Modellprojekten "Chance Zukunft" und "BergAuf!"

Den ESF-geförderten Modellprojekten "Chance Zukunft" und "BergAuf!" ist es gelungen, jungen Menschen in schwierigen Lebenssituationen und mit vielfachen Scheiternserfahrungen Zukunftschancen und Perspektiven auf Teilhabe zu eröffnen. Insgesamt rund 1.000 Jugendliche und junge Menschen aus Nordrhein-Westfalen haben an beiden Projekten teilgenommen.

Die Zielgruppe der schwer erreichbaren Jugendlichen rückt verstärkt in den Blick der Arbeitsmarktpolitik und wird in Anlehnung an den englischsprachigen Begriff disconnected youth als „entkoppelte Jugendliche“ bezeichnet. Gemeint sind junge Menschen, die aus allen institutionellen Kontexten herausgefallen sind, sich weder in Schule, Ausbildung oder Erwerbsarbeit befinden, noch kontinuierlich SGB II-Leistungen in Anspruch nehmen.

Das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium und die Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit nutzten die Bochumer Abschlussveranstaltung, um bei den Jobcentern für den Transfer der erprobten Ansätze in die Praxis zu werben und die neuen gesetzlichen Möglichkeiten nach § 16 h SGB II auszuschöpfen. Die Veranstaltung, organisiert von der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.), richtete sich an die Akteure und Akteurinnen, vor allem aber auch an Verantwortliche in den Jobcentern des Landes.

Die Heranführung von entkoppelten jungen Menschen an die Regelsysteme als arbeits- und sozialpolitische Aufgabe

„Wir erfüllen unseren Auftrag, den Menschen zu Selbstverantwortung zu verhelfen, und wir entwickeln uns weiter.“ Für das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales begrüßte Stefan Kulozik die teilnehmenden Akteure und zog in seinem Beitrag ein Resümee zu den Erfahrungen aus den Modellprojekten.

Um junge Menschen mit Scheiternserfahrungen zu erreichen, werden individualisierte Ansätze und ein ganzheitlicher Blick auf die Lebenssituation jedes Einzelnen gebraucht. Die Kompetenzen von Trägern und Jobcentern sowie die enge Zusammenarbeit der Akteure seien zentral. „Wir müssen die Instrumente den Bedarfen der Menschen anpassen und nicht umgekehrt“, sagte der Vertreter des Ministeriums mit Blick auf künftige Aufgaben und machte deutlich, dass gerade bei der schwierigen Zielgruppe der entkoppelten Jugendlichen die Differenzierung von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wenig Sinn mache. „Jeder Mensch verfügt über Stärken und Potentiale, wir können es uns nicht leisten, junge Menschen aufzugeben. Die Modellprojekte haben neue Wege aufgezeigt. Und wir als Ministerium werben dafür, diese zu nutzen!“

Wir haben jetzt ausreichende Möglichkeiten und die sollten wir ergreifen. Es ist anstrengend, aber unser Ansporn bleibt es, alle Jugendlichen zu erreichen.

„Ohne Ihr Engagement wäre ein so schöner Erfolg nicht möglich gewesen.“ Die Vertreterin der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit, Sabine Hustedt, dankte den Berufsbildungswerken und Jobcentern sowie der Stadt Bergheim, die die beiden Projekte umgesetzt haben. Deren Einsatz habe sich gelohnt und gezeigt, wie vielfältig die Wege sein können, um entkoppelte junge Menschen zurückzugewinnen.
„Vertrauen schaffen, Orientierung geben, zu Teilhabe befähigen sind die Säulen der Projektkonzepte, sie legen auch das Fundament für eine nachhaltige Beschäftigungsförderung“, betonte die Vertreterin der Regionaldirektion NRW und machte deutlich, dass die Arbeitsverwaltung die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse aus den Modellprojekten nutzen und weiterführen will. „Wir haben jetzt ausreichende Möglichkeiten und die sollten wir ergreifen. Es ist anstrengend, aber unser Ansporn bleibt es, alle Jugendlichen zu erreichen.“

Modellprojekte schaffen Zukunft – Praxisberichte zeigen, wie es gelingt

Das dreijährige Modellprojekt "Chance Zukunft" bot ein besonderes Betreuungsangebot für arbeitsmarktferne junge Menschen in schwierigen Lebenssituationen bis zu einem Alter von 35 Jahren. Das Ziel: persönliche Stabilisierung, Entwicklung beruflicher Perspektiven und Heranführung an Ausbildung und Arbeit oder an therapeutische Angebote. Durchgeführt wurde das Projekt von den zehn Berufsbildungswerken in Nordrhein-Westfalen in enger Kooperation mit 28 Jobcentern. Finanziert wurde das Projekt mit finanzieller Unterstützung aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Eingliederungsmitteln der beteiligten Jobcenter.

Auf der Veranstaltung berichteten die drei Berufsbildungswerke BBW Benediktushof Maria-Veen, CJD BBW Dortmund sowie das mit der Gesamtleitung beauftragte Kolping-Berufsbildungswerk Essen aus der Praxis und benannten Gelingensfaktoren.

Das ESF-geförderte Projekt "BergAuf!"  richtete sich an junge Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf im Übergang Schule-Beruf bis zu einem Alter von 27 Jahren und verfolgte einen ähnlichen Projektansatz wie "Chance Zukunft". Träger war die Stadt Bergheim. Im Rahmen des kommunalen Vorhabens wurden institutionelle Rahmenbedingungen einer ganzheitlichen, rechtskreis-übergreifenden Unterstützung erprobt. Ziel war es, die Ressourcen und Kompetenzen der unterschiedlichen Institutionen zu bündeln und zu vernetzen.

Das Projekt wird nach Abschluss der Modellphase fortgeführt, geplant ist der Aufbau einer Jugendberufsagentur. Zwei Vertreterinnen der Kreisstadt Bergheim stellten Konzept und Projektergebnisse vor.

Ergebnisse der Evaluationen von "Chance Zukunft"

Das Modellprojekt war ein Erfolg und für rund jeden zweiten Teilnehmenden konnten Verbesserungen oder eine Stabilisierung der Lebenssituation erreicht werden. Die Vertreterinnen des NRW-Arbeitsministeriums, Dr. Julia Brennecke und Sabrina van Santen, stellten erste Evaluationsergebnisse vor und skizzierten Wirksamkeit sowie die Bewertung des Modellvorhabens durch die Projektbeteiligten.

Die Zahlen belegen: Eine Annäherung an die Regelsysteme gelang in vielen Fällen, allerdings konnten bei knapp 49 Prozent der Teilnehmenden auch über diesen niederschwelligen Ansatz keine Verbesserung ihrer persönlichen Situation erreicht werden. Mit Blick auf die Verbesserung der Lebenssituation und Teilhabechancen gehen die Einschätzungen von Teilnehmenden und der begleitenden Coaches durchaus auseinander. So wurden nach Ansicht der Coaches bei rund 30 Prozent der Teilnehmenden deutliche Fortschritte in den Lebensbereichen Wohnen, Arbeitsmarkt/Ausbildung und Gesundheit erzielt. Die Teilnehmenden befanden demgegenüber, vor allem bei der Entwicklung beruflicher Perspektiven, der Mobilität und der Klärung ihrer finanziellen Situation profitiert zu haben.

Für rund jeden zweiten Teilnehmenden konnten Verbesserungen oder eine Stabilisierung der Lebenssituation erreicht werden.

Eine Übersicht der Problem- und Bedarfslagen der Teilnehmenden machte deutlich, in welch unterschiedlichen Lebensbereichen ein tiefergehender Unterstützungsbedarf bestand. Auffällig sei vor allem der hohe Anteil von psychischen Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten sowie Drogen- und Suchtproblematiken bei den entkoppelten und häufig auch sozial isoliert lebenden jungen Menschen.

„Das Ergebnis übertrifft unsere Erwartungen“, so das Fazit der Referentinnen. „Gedanken müssen wir uns weiter über diejenigen Jugendlichen machen, die selbst von so niederschwelligen Angeboten wie Chance Zukunft nicht erreicht werden.“

Wie können die Ansätze zur Begleitung entkoppelter Jugendlicher im Jobcenter weitergeführt werden

Wie geht es weiter? Die Frage zog sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung. Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Jobcenter gaben erste Antworten und berichteten von weiterführenden Aktivitäten. Die Diskussion auf dem Podium und in den vier abschließenden Arbeitsgruppen gab Gelegenheit zur vertiefenden Fachdiskussion und fand großes Interesse.

Schließlich ist auch das ein wichtiger Erfolg: Rund 80 Prozent der Jobcenter, die am Projekt teilgenommen haben, planen eine konkrete Fortführung oder Weiterentwicklung des Konzepts. Damit ist es gelungen, einen niederschwelligen und aufsuchenden Ansatz im SGB II für die Zielgruppe der jungen Erwachsenen zu implementieren.

Das Land werde die Umsetzung weiter begleiten und unterstützen, betonte Stefan Kulozik vom NRW-Arbeitsministerium. Zusammen mit Sabine Hustedt von der Regionaldirektion NRW dankte er aber zunächst einmal für so viel „Engagement und Herzblut“.

Auf der Abschlussveranstaltung stellte das das NRW-Arbeitsministerium die neue Publikation „Modellprojekt Chance Zukunft. Nachhaltige Perspektiven für junge Menschen in schwierigen Lebenssituationen“ vor. Die Broschüre berichtet über Praxisbeispiele, dokumentiert Ergebnisse und stellt die Erfahrungen beteiligter Jobcenter vor.